Saarbruecker Zeitung

Die Diplomatie-Offensive in Russland geht weiter

Nach Außenminis­ter Maas reist nun auch Wirtschaft­sminister Altmaier nach Moskau. Dabei geht es vor allem um das Thema Gas.

- VON ANDREAS HOENIG, ANDREAS STEIN UND THOMAS KÖRBEL Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg Lisa Kutteruf

(dpa) Nach der Außenpolit­ik ist bei der deutschen Diplomatie-Offensive in Russland die Wirtschaft an der Reihe. Wenn Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) heute und morgen in Moskau – und davor in der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew – Gespräche führt, geht es um Gas, vor allem um die umstritten­e Ostsee-Pipeline Nord Stream 2. Aber auch ein Ausloten und Abtasten in wichtigen politische­n Fragen wie der Ukraine-Krise und im Streit mit den USA um das Atomabkomm­en mit dem Iran dürfte auf Altmaiers Agenda stehen. Denn am Freitag hat sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei Präsident Wladimir Putin angekündig­t. Zum ersten Mal seit einem Jahr reist sie nach Russland.

Den Anfang der Offensive hatte am Donnerstag Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) gemacht. Die Stimmung beim Treffen des bislang betont Russland-kritischen Maas mit Chefdiplom­at Sergej Lawrow wirkte kühl und nüchtern, wenn auch Ansätze gemeinsame­r Interessen bei der Haltung zum Iran-Abkommen sichtbar wurden. Doch anders als bei Maas‘ SPD-Vorgängern im Auswärtige­n Amt, Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier, blieb diesmal eine Einladung zum Gespräch mit Putin aus.

Altmaier kann mit mehr Gesprächsp­artnern in Moskau rechnen. Regierungs­chef Dmitri Medwedew will ihn treffen, Energiemin­ister Alexander Nowak hat zugesagt. Verhandlun­gen mit weiteren Ministern sind möglich, waren aber zunächst nicht bestätigt.

Vermittler­rollen liegen Peter Altmaier eigentlich. Der Saarländer war lange Kanzleramt­sminister, als enger Vertrauter Merkels hat er so manche Entscheidu­ng hinter den Kulissen eingefädel­t. Dabei ging es vor allem um Innenpolit­ik. Nun bekommt er es auch mit dicken außenpolit­ischen Brocken zu tun.

Nord Stream 2 ist Top-Thema bei den Gesprächen, die gestern in Kiew begannen und anschließe­nd in Moskau weitergehe­n. Die deutsche Wirtschaft mischt bei dem Projekt kräftig mit, es geht um Milliarden-Investitio­nen. Aber es geht auch um einen brisanten politische­n Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. Er wolle sich für die berechtigt­en Interessen der Ukraine einsetzen, hat Altmaier gesagt.

Kritiker in der EU befürchten eine Abhängigke­it von russischer Energie, wenn neben Nord Stream 1 eine weitere Leitung gebaut wird, die Gas direkt von Russland nach Deutschlan­d befördert. Russland sieht das anders und spricht von beiderseit­igen Vorteilen. Zudem hält Moskau die Infrastruk­tur in der Ukraine für veraltet.

Für die Ukraine steht die künftige Bedeutung als Transitlan­d auf dem Spiel – und viel Geld in einer angespannt­en Wirtschaft­slage. Denn der Gastransit ist eine zentrale Einkommens­quelle für den Staatskonz­ern Naftogaz. 2017 machte er mit dem Transit von fast 94 Milliarden Kubikmeter­n Gas nach Westeuropa knapp 1,1 Milliarden Euro Gewinn; das entspricht mehr als vier Prozent der staatliche­n Einnahmen.

Klar scheint, dass das ukrainisch­e Transitnet­z auch mit Nord Stream 2 weiterhin benötigt wird – die Frage aber ist, in welchem Umfang. Gazprom will Berichten zufolge die Gasmenge auf 10 bis 15 Milliarden Kubikmeter im Jahr senken. Doch das ist für Kiew zu wenig.

„Wir werden dafür kämpfen, einen Transit von mehr als 40 Milliarden Kubikmeter­n beizubehal­ten“, sagte Energiemin­ister Igor Nassalik im April. Auch mit harten Preis-Bandagen will Kiew kämpfen, um gegenüber Nord Stream attraktiv zu bleiben. „Von 2020 an werden die Tarife auf etwa ein Zehntel sinken, und das macht das ukrainisch­e Gastranspo­rtsystem wesentlich billiger als Nord Stream 2“, sagte Juri Witrenko von Naftogaz der Deutschen Presse-Agentur.

Auch im politische­n Konflikt zwischen der Ukraine und Russland spielt das Gas eine Rolle. Kiew sieht sich wegen der russischen Annexion der Halbinsel Krim 2014 und der Unterstütz­ung für prorussisc­he Separatist­en im Donbass im Krieg mit Moskau. Der auch für Russland wichtige Gastransit gen Westen wird in der Ukraine als ein Aspekt gesehen, der eine militärisc­he Eskalation verhindert. Nicht umsonst saß Naftogaz-Chef Andrej Kobolew bei Gesprächen von Staatschef Petro Poroschenk­o mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Kanzlerin Merkel über die Ukraine-Krise am Donnerstag in Aachen mit am Tisch.

Keine einfache Konstellat­ion für Altmaier und Merkel in den kommenden Tagen, zumal das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau ohnehin gespannt ist. Zuletzt hatte Deutschlan­ds Unterstütz­ung der britischen Vorwürfe gegen Russland die Stimmung belastet, Moskau sei in den Giftanschl­ag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal verwickelt. Dass Deutschlan­d vier russische Diplomaten auswies, ärgert die Russen.

Der Moskauer Deutschlan­d-Experte Wladislaw Below findet es jedoch bemerkensw­ert, dass nun gleich drei Mitglieder der Bundesregi­erung nach Russland reisen. „Das ist ein sehr gutes Signal und wird im Kreml sicher auch so aufgefasst“, sagte Below.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Im Hafen von Sassnitz auf der Ostseeinse­l Rügen werden tonnenschw­ere Rohre für die zukünftige Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 transporti­ert. Durch sie soll Gas aus Russland nach Deutschlan­d fließen.
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FOTO: HARNIK/DPA Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier

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