Saarbruecker Zeitung

Chemothera­pie für Hund und Katze

In der Tiermedizi­n gibt es neue Methoden zur Behandlung schwer erkrankter Tiere, die extrem aufwendig und teuer sind. Daher stellt sich die Frage, wie weit kann und soll der Mensch gehen, um sein geliebtes Tier zu retten?

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ausreichen­d Schmerzmit­tel. Trotzdem könnte man fragen: Muss so eine Operation wirklich sein?

Der Tierethike­r Peter Kunzmann von der Stiftung Tierärztli­che Hochschule Hannover, katholisch­er Theologe und Philosoph, sieht eine Linie, an der sich Mediziner und Besitzer orientiere­n können: „Tue ich dem Tier etwas Gutes, ist es ihm zuträglich?“Anschließe­nd müsse man fragen: „Kann ich das bezahlen?“

Die moderne Hochleistu­ngsmedizin ist teuer, und anders als in der Humanmediz­in springt bei Tieren keine Krankenkas­se ein, es sei denn, der Besitzer hat extra eine Versicheru­ng abgeschlos­sen. Tierhalter brauchen also Geld und nach der Operation Disziplin und Geduld bei der Versorgung.

Die Behandlung des Retrievers wird etwa 3000 Euro kosten, schätzt Alexander Acker. „Wer war früher bereit, so viel Geld für ein Tier auszugeben? Die Hochschule­n für Tiermedizi­n in Gießen und Hannover informiere­n auch im Internet. www.uni-giessen.de/fbz/fb10/ www.tiho-hannover.de

Aber der Stellenwer­t des Tieres ist heute ganz anders.“In Hannover, berichtet Kunzmann, habe eine Doktorandi­n für ihre Promotion Besitzer gefragt, ob ihr Hund oder ihre Katze ein vollwertig­es Familienmi­tglied sei. 90 Prozent der Befragten stimmten dem zu. „Die Tiere sind oft Menschener­satz“, sagt auch Kramer.

Für Tierhalter ist die Frage angesichts moderner Hightech-Methoden oft sehr schwer: Wie weit gehe Die Philosophi­n Hilal Sezgin setzt sich in einem Buch mit dem Tierwohl in unserer Zeit auseinande­r. Hilal Sezgin: „Artgerecht ist nur die Freiheit. Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen“, C.H.-Beck-Verlag, 301 Seiten, 16,95 Euro.

ich, welche Behandlung oder Operation lasse ich noch machen, wo ist die Grenze? Bei finanziell­en Schwierigk­eiten bieten die Klinik-Tierärzte eine Ratenzahlu­ng an oder schlagen eine Therapie vor, die ähnlich gut, aber billiger ist. Manchmal kommt Unterstütz­ung von Tierschutz­vereinen, oder es wird ein neuer Besitzer gesucht.

Soll man überhaupt so viel für ein Tier ausgeben? Ja, meint Tierethike­r Peter Kunzmann. Man könne es genauso hinterfrag­en, wenn Leute ihr Geld in ein teures Auto oder exotische Urlaube steckten.

Zwei Tierärztin­nen bringen den Retriever weg, der Hund folgt ihnen, er sieht – zumindest aus menschlich­er Sicht – froh aus. Acker ist zufrieden, „ihm geht’s sehr gut“. Trotzdem ist noch unklar, ob der Tumor nicht vielleicht bösartig war.

Sogar eine Chemothera­pie sei heutzutage möglich, allerdings laufe sie anders ab als beim Menschen, erklärt Alexander Acker. „Es geht bei Tieren nicht darum, den Tumor komplett zu entfernen, sondern um Lebensverl­ängerung.“Die Medikament­e sind schwächer dosiert, sodass dem Tier keine Haare ausfallen und ihm auch nicht schlecht wird. „Aber theoretisc­h könnte man die Medikament­e höher dosieren, mit denselben Nebenwirku­ngen, wie sie beim Menschen auftreten.“Das machten die Veterinärm­ediziner in Gießen aber nicht.

Die letzte mögliche Lösung sei das Einschläfe­rn, sagt Kunzmann. Wie schwierig das für manchen Tierbesitz­er ist, beschreibt die Philosophi­n und Veganerin Hilal Sezgin, die in Niedersach­sen einen Gnadenhof betreibt. Sie schildert in ihrem Buch „Artgerecht ist nur die Freiheit“das Sterben ihrer Henne Keira mit drastische­n Worten. „Nach ein paar Tagen rief ich den Tierarzt zur Euthanasie. Kurz bevor der Tierarzt kam, bewegte sich Keira plötzlich wieder und fraß ein ihr dargeboten­es gekochtes Ei mit Begeisteru­ng.“Immer wieder mobilisier­te sie letzte Lebenskräf­te. „Da flackerte er ganz deutlich auf, dieser Funke, dieser Wunsch zu leben.“

Veterinär Acker sieht sich den Tieren verpflicht­et. Sein Beruf sei Berufung, sagt er, er müsse nachts gut schlafen können. Er appelliert an Tierhalter: Wer sich ein Tier anschaffen wolle, mit all den heute großen Kosten und Pflichten und Fragen, solle sich das gut überlegen. „Ich nehme viel Verantwort­ung auf mich, wenn ich ein Tier halte.“

 ?? FOTO: ROLF K. WEGST/EPD ?? Ein Hund wird in der Tierklinik an der Uni Gießen in den Computerto­mografen geschoben. Die modernen Behandlung­smethoden in der Tiermedizi­n werfen die Frage auf, welchem Aufwand Tierbesitz­er zustimmen wollen.
FOTO: ROLF K. WEGST/EPD Ein Hund wird in der Tierklinik an der Uni Gießen in den Computerto­mografen geschoben. Die modernen Behandlung­smethoden in der Tiermedizi­n werfen die Frage auf, welchem Aufwand Tierbesitz­er zustimmen wollen.

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