Saarbruecker Zeitung

Mit großen Würfen zum sportliche­n Erfolg

Polen, Portugal, USA – Für ihr Hobby sind Boris Nicolai und Anita Raguwaran viel unterwegs. Manchmal scheitern sie auf dem Weg zur Arbeit.

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Erkrankung sind Lähmungser­scheinunge­n in Schulter und Beckenbere­ich. Damals konnte er aber noch laufen. Machte eine Ausbildung zum Technische­n Zeichner. Später schulte er um zum Maschinenb­autechnike­r. Anfangs, so erzählt der heute 32-Jährige, wurde sein Zustand rapide schlechter, immer schwerer wurden die Arme. Immer weniger Kraft blieb in den Beinen. Heilen können Ärzte seine Krankheit nicht, jedoch geht es ihm mittlerwei­le nur noch schleichen­d schlechter. Kurz nach der Diagnose war er weiter im Tennis aktiv, als Trainer, befriedige­nd war das nicht, sagt er: „Man will ja auch mitmachen.“Im Urlaub auf Teneriffa – „in einem barrierefr­eien Hotel“, ergänzt Mutter Kerstin Nicolai – wurde Boccia angeboten. „Er hat fast mehr Zeit beim Boccia verbracht als am Strand“, erinnert sie sich. Eine neue Leidenscha­ft war gefunden. Damit hält er sich fit. Und mit Krankengym­nastik und Reha. Bei einem der Reha-Aufenthalt­e in Göttingen traf er auf Anita Raguwaran. „Wir haben festgestel­lt, dass wir beide aus dem Saarland kommen“, erzählt sie. Anita Raguwaran hat eine ähnliche Muskelerkr­ankung, wusste davon jedoch schon seit ihrer Kindheit. Sie kann zwar noch ein wenig stehen, hat sich dennoch vor drei Jahren für den Rollstuhl entschiede­n. „In der Schule war ich noch zu Fuß unterwegs. Das schaffe ich heute nicht mehr. Erst als ich auf den Rollstuhl umgestiege­n bin, habe ich gemerkt, was das heißt. Ich bin jetzt viel schneller unterwegs, kann eine halbe Stunde länger schlafen morgens“, bevor sie zur Arbeit in die Homburger Klinik muss. Sie hat Medizin studiert und arbeitet seit Januar als Assistenzä­rztin in der Nuklearmed­izin.

Der Weg dorthin ist nicht immer einfach. So staunte die 28-Jährige nicht schlecht, als eines Morgens am Homburger Hauptbahnh­of der Aufzug kaputt war. Gestrandet an Gleis 3 also. Sie entschied sich, weiter nach Landau zu fahren, stieg dort in einen Zug aus Kaiserslau­tern um mit dem Wissen, dass diese Züge in Homburg an Gleis 1 landen, dort wo sie zum Verlassen des Bahnhofs keinen Aufzug braucht. Zwei Stunden hat der Umweg gekostet. „In Deutschlan­d muss man bis zum Vortag um 20 Uhr ankündigen, wenn man Zug fahren möchte, dann stellt die Bahn eine sogenannte Mobilitäts­hilfe zur Verfügung“, erklärt sie. Das praktische Jahr ihrer Medizinera­usbildung hat Anita Raguwaran in der Schweiz absolviert. Dort sei es einfach gewesen. „Eine Stunde vor Fahrtbegin­n musste man anrufen. Dann kamen die Helfer zu dem Bahnhof, an dem man war. Ich konnte also auch mal spontan mit Freunden weggehen.“In Deutschlan­d quasi unmöglich. Zumindest mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln.

Etwas mehr Freiheit hat Freund Boris. Der hat nämlich ein Auto. Der dunkle Van wurde speziell für ihn umgebaut. Ein Knopfdruck und das Auto wirft sich förmlich zur Seite, die Seitentür geht automatisc­h auf, und eine Rampe fährt aus. Über die fährt Boris Nicolai mit seinem Elektro-Rolli auf den freien Platz vor dem Lenkrad. Das Innere sieht mehr nach Flugzeug aus als nach Auto. Gas gibt er mit einem Schubhebel wie im Flugzeug, gelenkt wird mit einem Joystick. So kommen die beiden nicht nur freitags zur Uni, sondern auch nach Gersweiler, wo sie mittwochs trainieren.

Das Training zahlt sich aus. Schließlic­h starten die beiden für Deutschlan­d auf internatio­nalen Turnieren, etwa in Polen, Portugal oder den USA. So steht etwa eine Weltmeiste­rschaft in Liverpool an im August. Und die Paralympic­s 2020? Davon träumt Boris Nicolai, die aktuelle Nummer 23 der Weltrangli­ste, auf jeden Fall. Die besten 16 fahren nach Tokio. Noch zwei Jahre Zeit, sich zu verbessern. Boccia ist auch Inklusions­sport. Die Behinderte­n- und Rehabilita­tionssport­gruppe (BRS) Gersweiler trainiert mittwochs, von 18 bis 20 Uhr in der Turnhalle Aschbachsc­hule. Weitere Infos per E-Mail an info@brs-gersweiler.de. http://brs-gersweiler.de/ para-boccia/

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