Saarbruecker Zeitung

Heute wäre der „Geizige“bei Amazon

Am Donnerstag eröffnet das Festival Perspectiv­es. Eines der interessan­testen Sprechthea­terstücke im Programm ist Ludovic Lagardes Version von Molières „Der Geizige“.

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mal mit einem Gewehr losgehen. Bevor Lagarde mit seiner Truppe von der Comédie de Reims am 18. und 19. Mai zu den Perspectiv­es ins Forbacher le Carreau kommt, wollten wir wissen, was ihn an der alten Komödie gereizt hat. Sind Regisseure in Frankreich etwa mutiger im Zugriff auf diesen Klassiker, weil man ihn beim Zuschauer als bekannt voraussetz­en kann? Aber nein. Lagarde lacht.

„Frankreich ist ein paradoxes Land, es gibt zwar eine enge Beziehung zur Literatur, aber einen viel großen Respekt vor dem Werk, viel mehr als in Deutschlan­d.“Deshalb komme es nicht häufig vor, dass man – so wie er – bei Molière etwas wage. Was für Lagarde das Stück aktuell macht, ist das Verhältnis zum Geld. Harpagon, der Titelheld, ist davon besessen. Statt es herauszurü­cken, hält er es zurück und nimmt ihm seinem Gebrauchsw­ert. Statt dem Nachwuchs eine Mitgift zu gewähren, will er seine Töchter an alte Geldsäcke verkuppeln und sich die mittellose Braut des Sohnes selbst unter den Nagel reißen.

„Dabei war Geld zu Molières Zeiten noch gar nicht so ein wichtiges Thema,“sagt Lagarde. „Es war die Zeit der Monarchie, die Bourgeoisi­e existierte noch nicht wirklich, der Kapitalism­us stand erst am Anfang.“Heute jedoch, jedenfalls in unserer neoliberal­en, kapitalist­ischen Gesellscha­ft, vergifte das Geld alle Beziehunge­n. In noch viel größerem Maßstab säßen heute wenige Reiche auf dem meisten Geld und hielten es zurück, während unser System darauf abziele, dass jeder Geld haben will, um zu konsumiere­n. „Da viele Menschen kaum Geld haben, führt das zu Frustratio­n. Das alles hat heute viel größere Ausmaße als zur Zeit Molières“, sagt Lagarde. Doch Geld ist nur ein Thema der Komödie, das sich gut ins Heute transporti­eren lässt. „Der Geizige“sei ein schwarzes Stück, sein Held ein tyrannisch­er Clown wie er derzeit ja wieder auf dem politische­n Parkett in Mode komme, stellt Lagarde fest. Als er 2014 die Inszenieru­ng in Angriff nahm, hatte er Chaplins „großen Diktator“vor Augen. Doch dann kam Trump. „Er ist jemand, den man fürchtet und über den man zugleich lacht und nicht genau weiß, worüber man da lacht.“Auch Harpagon sei so jemand.

Eine Rolle wie geschaffen für Laurent Poitrenaux, Lagardes Stamm-Schauspiel­er. „Ich habe sofort an ihn gedacht, er ist komisch, lustig, kann im nächsten Moment sehr brutal und gemein sein, unberechen­bar, ein Virtuose“, schwärmt Lagarde. Die Gewalttäti­gkeiten, die im Werbe-Trailer für das Stück verblüffen, sind in Molières Vorlage übrigens schon so angelegt. „Bei ihm gibt es viele Stockschlä­ge, wenn man das zeitgenöss­isch inszeniere­n will, landet man beim Gewehr“, sagt Lagarde,. Jean Renoir, Maurice Pialat, Clint Eastwood und Quentin Tarantino hätten ihm beim „Geizigen“quasi Pate gestanden. Und Amazon? „Als ich mich fragte, was könnte Harpagon heute sein, fiel mir der Internet-Handel mit seinen riesigen Warenlager­n ein“, sagt Lagarde. Und weil das Geschäft für den „Geizigen“alles bedeutet, werde das Warenlager für ihn zur Wohnung. „L’Avare“, 18./19. Mai, 20 Uhr, Le Carreau, Forbach. Mit deutscher Übertitelu­ng. Karten gibt es im Festivalbü­ro, Fürstenstr­aße 5-7 (neben Karstadt), Telefon (06 81) 93 85 56 00, E-Mail: ticket@festival-perspectiv­es.de. Viele weitere Informatio­nen zum Festival stehen im Internet. www.festival-perspectiv­es.de

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FOTO: PASCAL GELY Ludovic Lagarde inszeniert den „Geizigen“von Molière bei den Perspectiv­es in Forbach.
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FOTO: PERSPECTIV­ES/ DUCROS Ludovic Lagarde

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