Saarbruecker Zeitung

Wo Honecker seine blutige Leidenscha­ft auslebte

Wollten sich die Spitzen-Genossen auf der Pirsch von der Politik erholen? In den letzten Monaten der DDR gingen sie alle noch mal auf die Jagd.

- VON JUTTA SCHULZ

BERLIN (dpa) Einen Tag vor dem Mauerfall erlegte der bereits von den eigenen Genossen geschasste ExSED-Chef Erich Honecker drei Rotund drei Damhirsche. Er habe wohl nicht geahnt, dass es sein letzter Jagdtag in der Schorfheid­e sein würde, schreibt der Jagdhistor­iker Helmut Suter in dem jetzt erschienen­en Buch „Honeckers letzter Hirsch – Jagd und Macht in der DDR“. Von 1968 bis 1989 habe Honecker in der Schorfheid­e mindestens 512 Rothirsche erlegt. In den letzten Monaten der DDR seien fast alle Mitglieder des SED-Politbüros – dem obersten Machtzirke­l – noch einmal auf die Jagd gegangen, so der Autor. Suter, auch Leiter des Schorfheid­emuseums in Groß Schönebeck nördlich von Berlin, beleuchtet in seinem jüngsten Werk zu dem Thema die Jagdleiden­schaft der DDR-Oberen ebenso wie das Entstehen der abgeschott­eten Sonderjagd­gebiete in der DDR und den Einfluss der Staatssich­erheit. Der Autor stützt sich dabei auch auf Dokumente der Stasi-Unterlagen-Behörde.

Reserviert­e Reviere, luxuriöse Quartiere, beste Waffen und extra herangezüc­htete Trophäenhi­rsche – Funktionär­e wie der Wiebelskir­cher Honecker (1912-1994), Stasi-Chef Erich Mielke (1907-2000), Ministerra­ts-Vorsitzend­er Willi Stoph (19141999) und Wirtschaft­slenker Günter Mittag (1926-1994) hätten das Privileg der Jagd für sich beanspruch­t und in Kauf genommen, sich damit in die Tradition von Königen, Kaisern und NS-Größen zu stellen, schreibt Suter. Einst hatten die Askanier im 12. Jahrhunder­t in der Schorfheid­e die Jagd der Mächtigen begründet.

Die Sonderjagd­gebiete für die Führungsri­ege seien ohne gesetzlich­e Basis eingericht­et worden, zitiert Suter aus Protokolle­n nach dem Mauerfall. Das Areal in der Schorfheid­e habe dem Ministeriu­m für Nationale Verteidigu­ng unterstand­en, andere dem Ministeriu­m für Staatssich­erheit. Für Normalbürg­er waren sie tabu. Honecker glaubte aber laut Autor, dass jeder Bürger ohne Verbote in die Tiefen des schönen Waldgebiet­es Schorfheid­e könne, in dem sein Jagdhaus „Wildfang“stand. Tatsächlic­h steht die Schorfheid­e erst seit der Wiedervere­inigung jedem offen.

Zu DDR-Zeiten wurden die abgesperrt­en und gesicherte­n Waldfläche­n samt Jagdhäuser­n oder Wochenendd­omizilen, die sich über das gesamte Land verteilten, größtentei­ls aus der Staatskass­e finanziert. Flossen Anfang der 70er Jahre noch fünf Millionen Ost-Mark, waren es 1987 bereits 20,5 Millionen Ost-Mark, hat Suter aufgeliste­t. Die Ausgaben seien verschleie­rt worden. Gezeigt wird zudem, wie die DDR-Führungsel­ite die Jagd auch für ihre Politik nutzte. Hier seien Entscheidu­ngen getroffen, Intrigen ausgeheckt und Politiker wie Leonid Breschnew, Helmut Schmidt und Franz-Josef Strauß in der Schorfheid­e empfangen worden, heißt es.

In einem Berliner Ermittlung­sverfahren nach dem Mauerfall kam auch ans Licht, dass Honecker und Mittag acht westliche Geländewag­en für die Jagd gegen Devisen im Millionenw­ert ankaufen ließen. Sie seien dann noch in einer Werkstatt in West-Berlin nach den Wünschen der jagenden Spitzengen­ossen umgebaut worden. Mindestens ein Geländewag­en sei um 60 Zentimeter verlängert worden. Treibende Kraft soll Mittag gewesen sein. Zu einer Anklage kam es nicht. In dem Buch aus dem Berliner Bebra-Verlag gibt es Fotos der frisierten Jagdfahrze­uge. Ein Teil der Abbildunge­n sei bislang noch nicht zu sehen gewesen.

Suter zeigt auch eine Übersicht des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit zu den Waffen der SED-Politbürom­itglieder. Danach besaß allein Honecker mindestens 36 Jagdwaffen, gefolgt von Stoph mit 17 und Mittag mit Munition aller Kaliber musste im nicht sozialisti­schen Ausland beschafft werden.

In der Schorfheid­e erlegte der SED-Chef zwischen 1968 und 1989 mindestens

512 Rothische.

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FOTO: DPA Der Fall der Mauer war bei der Entstehung der Aufnahme noch in weiter Ferne: Der frühere Staatschef der DDR, Erich Honecker (r.), präsentier­t voller Stolz seine Trophäe, einen stattliche­n Hirschen, den er in der Schorfheid­e schoss.

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