Saarbruecker Zeitung

Frankreich will grobe Anmache jetzt hart bestrafen

Das Parlament debattiert über ein neues Gesetz gegen sexuelle Gewalt. So soll grobe Anmache auf der Straße künftig mit bis zu 750 Euro bestraft werden.

- VON CHRISTINE LONGIN

PARIS Die Sex-Affäre um Harvey Weinstein ist ein gutes halbes Jahr her, doch die Wellen schlagen immer noch hoch. Vor allem in Frankreich, wo die Nationalve­rsammlung seit Montag über ein Gesetz gegen sexuelle Gewalt debattiert. Eingebrach­t von der Frauen-Staatssekr­etärin Marlène Schiappa, einer Ikone der französisc­hen #MeToo-Bewegung. Schon bevor der Weinstein-Skandal hochkam, hatte die 35-Jährige eine Arbeitsgru­ppe eingesetzt, die sich mit dem heiklen Thema der Belästigun­g von Frauen auf der Straße befasste. „Acht von zehn Frauen haben Angst, wenn sie nachts raus gehen“, begründet Schiappa ihren Vorstoß.

Ihr Gesetz soll nun den Frauen mehr Sicherheit geben, denn grobe Anmache auf öffentlich­en Plätzen soll künftig mit einer Geldbuße zwischen 90 und 750 Euro bestraft werden. Bis zu 10 000 neu eingestell­te Streifenpo­lizisten sollen vor allem in Bahnhöfen und Regionalzü­gen aufpassen, dass es keine sexistisch­en Beleidigun­gen und Übergriffe mehr gibt. Wer von den Beamten auf frischer Tat ertappt wird, muss zahlen. „Sobald jemand verurteilt wurde, wird das eine pädagogisc­he Wirkung haben“, fordert Schiappa.

Was sich in der Theorie gut anhört, ist in der Praxis allerdings schwierig. Denn kaum eine Frau wird auf der Straße belästigt, wenn ein Polizist direkt daneben steht. Und bis das Opfer einen Beamten gesucht hat, um den Fall anzuzeigen, ist der Täter längst über alle Berge. Außerdem ist die französisc­he Polizei bisher nicht besonders sensibel für die Beschwerde­n der Frauen, von denen rund 60 Prozent abgewiesen werden. „Wir fürchten, dass dieses Gesetz nur ein Werkzeug der politische­n Kommunikat­ion ist, das im Leben der Opfer keine echte Veränderun­g bringt“, kritisiere­n Aktivisten­gruppen.

Ganz in die falsche Richtung geht das Gesetz auch für die Schauspiel­erin Catherine Deneuve – allerdings aus einem anderen Grund. „Hartnäckig­e oder ungeschick­te Flirterei ist kein Delikt“, schrieb sie zusammen mit rund 100 anderen Frauen im Januar in einem Zeitungsbe­itrag. Sexuelle Belästigun­g in den Verkehrsmi­tteln ist für die Filmdiva lediglich eine Bagatelle. „Eine Frau kann darauf achten, dass ihr Gehalt so hoch ist wie das eines Mannes, sich aber nicht durch einen Mann traumatisi­ert fühlen, der sich in der Metro an ihr reibt. Sie kann es sogar als Ausdruck einer großen sexuellen Misere sehen, als ein Nicht-Ereignis“, heißt es in dem Text, der einen Aufschrei der Empörung auslöste.

Auch wenn sich „la Deneuve“hinterher bei allen Opfern sexueller Gewalt entschuldi­gte, bleibt sie doch Vertreteri­n einer alten Schule, die Anmache als Teil des legendären französisc­hen Charmes sieht. Genau das Gegenteil der fast 40 Jahre jüngeren Schiappa. Doch auch der Text der Staatssekr­etärin, der die Verjährung­sfristen verlängert und die Belästigun­g im Internet bestraft, enttäuscht die Frauenrech­tlerinnen. „Der Berg von #MeToo gebiert eine Maus“, kritisiert Clémentine Autain von der Linksaußen-Partei. Sie meint damit vor allem den Artikel, der ein Mindestalt­er für einvernehm­lichen Sex festlegen sollte, wie es etwa in Deutschlan­d üblich ist. Anlass war der Missbrauch einer Elfjährige­n durch einen 17 Jahre älteren Mann, bei dem die Justiz von Einvernehm­lichkeit ausgegange­n war. Ein Mindestalt­er von 15, was Präsident Emmanuel Macron gefordert hatte, hätte solche Fehlentsch­eidungen verhindert. Doch nachdem der Staatsrat Schiappas ersten Vorschlag kritisiert hatte, verwässert­e sie ihren Entwurf. Der öffnet nun eine juristisch­e Hintertür, um Vergewalti­gung nicht als Verbrechen, sondern lediglich als einfaches Vergehen zu ahnden. Mehr als 200 Prominente schrieben daraufhin an Macron, den umstritten­en Artikel zurückzuzi­ehen. Unterstütz­t werden sie von einer Internet-Petition, die schon mehr als 92 000 Unterschri­ften hat. Hashtag: Vergewalti­gung ist ein Verbrechen.

 ?? FOTO:KNEFFEL/DPA ?? Polizeiprä­senz soll in Frankreich künftig helfen, sexistisch­e Vorfälle auf offener Straße zu vermeiden. Kritiker bezweifeln, dass das Wirkung hat.
FOTO:KNEFFEL/DPA Polizeiprä­senz soll in Frankreich künftig helfen, sexistisch­e Vorfälle auf offener Straße zu vermeiden. Kritiker bezweifeln, dass das Wirkung hat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany