Saarbruecker Zeitung

Aufklärung siegt im Zweifel über Datenschut­z

Der BGH hat entschiede­n: Die Aufnahmen von Minikamera­s im Auto sind als Beweismitt­el zulässig. Doch Dauerfilme­n bleibt verboten.

- VON SUSANNE KUPKE UND KLAUS TSCHARNKE

KARLSRUHE/MAGDEBURG (dpa) Frontalzus­ammenstöße, Raubüberfä­lle und prügelnde Autofahrer: Dramatisch­e Szenen auf Russlands Straßen gehören zu den am meisten angeklickt­en Videos auf der Internetpl­attform Youtube. Zu verdanken haben die Nutzer die Bilder dem Trend zu Dashcams (auf Deutsch: Amaturenbr­ettkameras). Millionen Russen installier­en diese Unfall-Kameras inzwischen in ihre Autos – zum Schutz vor Verkehrsrü­peln, aber auch vor Betrügern, die mit provoziert­en Unfällen Kasse machen wollen.

Inzwischen entdecken auch immer mehr deutsche Autofahrer die Mini-Kameras hinter der Windschutz­scheibe oder am Innenraum-Rückspiege­l. Doch dürfen die Aufnahmen der kleinen Videokamer­a am Armaturenb­rett oder an der Windschutz­scheibe als Beweis verwertet werden, wenn es wirklich mal gekracht hat? Sie dürfen, entschied gestern der Bundesgeri­chtshof (BGH) (Aktenzeich­en: VI ZR 233/17).

Die Richter formuliert­en allerdings ein großes Aber: Das permanente Filmen des Verkehrs bleibt verboten – das verstoße gegen den Datenschut­z. Doch die Aufklärung eines Unfalls könne wichtiger sein, zumal der Unfallbete­iligte ohnehin Angaben zur Person, zum Führersche­in und zur Versicheru­ng machen müsse. Die Nutzung der Aufnahmen müsse je nach Fall abgewogen werden, so der BGH. Verkehrsex­perten, Juristen, Versichere­r und Polizisten begrüßten zumeist die Entscheidu­ng. Doch manche haben sich mehr erwartet. Sie forderten auch nach dem Urteil eine gesetzlich­e Regelung.

Konkret ging es vor dem BGH um einen Fall aus Sachsen-Anhalt. Ein Mann pochte nach einem Unfall auf vollen Schadeners­atz. Nach seiner Darstellun­g ist ein Auto beim Linksabbie­gen auf der daneben verlaufend­en Spur auf seine Fahrbahn gekommen und gegen seinen Wagen gefahren. Das sollen Aufnahmen seiner Dashcam belegen. Doch weder das Amts- noch das Landgerich­t Magdeburg berücksich­tigten die Aufnahmen: Weil sie unzulässig entstanden sind, dürften sie nicht als Beweis herangezog­en werden. Die Richter begründete­n die nun vom BGH gekippten Entscheidu­ngen jeweils damit, dass permanente­s Filmen anderer ohne deren Einverstän­dnis gegen das Bundesdate­nschutzges­etz sowie gegen das Persönlich­keitsrecht und das Recht am eigenen Bild verstößt.

Diesen Standpunkt vertritt auch der Deutsche Anwaltvere­in (DAV). Das „nicht-anlassbezo­gene Betreiben einer Dashcam im öffentlich­en Raum ist in Deutschlan­d nicht legal“, sagte Daniela Mielchen von der DAV-Arbeitsgem­einschaft Verkehrsre­cht. Doch gleichzeit­ig sind Dashcams nicht verboten. „Auf meinem privaten Grundstück kann ich filmen, so viel ich will“, sagt Paetrick Sakowski von der Wirtschaft­srecht-Kanzlei CMS. Auch Kameras, die nur kurz und anlassbezo­gen einen Unfall aufnehmen, dürften unproblema­tisch sein – in seinem Urteil wies der BGH auf diese Aufzeichnu­ngsmöglich­keit hin. Wer jedoch andauernd Dritte filmt, das speichert und es womöglich ins Netz stellt, muss mit einem Bußgeld rechnen. Das gilt selbst dann, wenn das Video hilft, einen schweren Verkehrsve­rstoß aufzukläre­n.

Denn als Beweismitt­el sind Dashcam-Aufnahmen grundsätzl­ich eine große Hilfe: Oft ist die Rekonstruk­tion eines Unfalls schwierig, etwa weil Zeugen sich widersprec­hen. Auch Kfz-Versichere­r könnten mit Videoaufna­hmen einfacher feststelle­n, wer wie viel Schuld an einem Unfall trägt und so schneller Schäden regulieren. „Wenn Beweise da sind, muss man sie auch verwenden dürfen“, sagt Kläger-Anwalt Volkert Vorwerk.

DAV-Experte Andreas Krämer sieht das etwas anders: Problemati­sch sei, dass jemand, der mit verbotenen Aufnahmen gegen die

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FOTO: WOLFGANG KUMM/DPA Etwa acht Prozent der deutschen Autofahrer haben inzwischen eine sogenannte Dashcam hinter der Windschutz­schreibe.

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