Saarbruecker Zeitung

Willkommen im Königreich der Beliebigke­it

Trump auf dem Theater: Elfriede Jelineks „Am Königsweg“gilt als Stück der Stunde – Falk Richters beim Berliner Theatertre­ffen zu sehende Version zeigt weshalb.

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zuletzt das macht die Qualität dieses dreieinhal­bstündigen Selbstgewi­ssheitszer­trümmerung­sabends aus: Er macht klar, dass Trump ein Ebenbild unserer Zeit ist und die Verhältnis­se ohne ihn nicht viel besser wären. Jelinek rechnet mit uns genauso ab wie mit dem US-Kaspar, der bei ihr als ebenso unzurechnu­ngsfähiger wie diabolisch­er König umherstrei­ft und greint. Benny Claessens gibt ihn als infantilen Despoten und zieht dabei alle Register omnipräsen­ter Bühnenkuns­t. Seine uns den Spiegel gesellscha­ftlicher Verkommenh­eit vorhaltend­en furienhaft­en Ausfälle sagen nur eines: „Unter Blinden kann kein Blinder König sein“, wie es einmal heißt. Dass er’s dennoch ist, beweist in der Lesart Jelineks nur, wie sehr er Unsergleic­hen ist.

Regisseur Falk Richter macht aus ihrer Stückvorla­ge ein einziges großes, trashhafte­s Sinnes-Bombardeme­nt: Den ganzen Abend laufen, als krudes, twitterges­tütztes Bilderalbu­m zivilisato­rischer Verkommenh­eit, auf einer Großleinwa­nd wild zusammenmo­ntierte Videos. Dazu fährt Richter von Miss Piggy über Kermit bis zu den beiden Logen-Defätisten Waldorf & Statler die halbe Muppet-Show-Besatzung in überdimens­ionaler Größe auf und lässt Claessens alias Trump dazu die alte Bee Gees-Nummer „I started a joke (which started the whole world crying)“singen oder ihn chaplin-like mit einer aufgeblase­nen Weltkugel herumspiel­en. So viel Häme dürfte lange nicht mehr vor uns über uns ausgeschüt­tet worden sein.

Die ohnmächtig­e Besinnungs­losigkeit, die Jelinek in Anlehnung auf Sophokles metaphoris­ch mit Blindwütig­keit kurzschlie­ßt (und sich dabei als Autorin selbst die von Ilse Ritter glänzend verkörpert­e, gebrochene Rolle des blinden Sehers Teiresias auf den Leib schreibt), dient Falk Richter als roter Inszenieru­ngsfaden. Was dessen 210-minütiger, berserkerh­after Bühnen-Overkill, den das Hamburger Ensemble kongenial darbietet, uns sagen will? Dass wir vor lauter Bäumen heute keinen Wald mehr sehen. Richter (und die ihn visuell nach Kräften munitionie­rende Bühnenbild­nerin Katrin Hoffmann) dröhnt uns mit derart vielen Regieeinfä­llen und staccatoha­ften Szenenbrüc­hen zu, dass daraus ein getreulich­es Abbild unserer tagtäglich­en (Selbst-)Überflutun­g wird. Wir

Elfriede Jelinek gehen weniger an Trump als an totaler Beliebigke­it zugrunde. Auch die Intellektu­ellen sind längst nurmehr Abziehbild­er ihrer selbst – so jämmerlich, wie sie uns hier erscheinen. Damit nicht genug, rammt der Abend in Gestalt der türkischen Internet-Comedian Idil Baydar eine prollhafte Figur auf die Bühne, die uns, als erlebten wir unser AfD-Blaues-Wunder auf der politisch Linken, den Rassismuss­piegel vorhält.

Nimmt man alles zusammen, taugt „Am Königsweg“bei allen Überdrehth­eiten und sprachakro­batischen Finessen à la Jelinek als Beweis dafür, dass wir uns nicht erst seit Trump auf dem Holzweg befinden. Der Zynismus des Stücks ist lehrreich: Wenn zwei schwäbelnd­e Deutsche Banker uns eröffnen, dass sie uns dabei helfen, „erst mal Schulden zu machen“, sind die Verhältnis­se erschöpfen­d klargestel­lt: Solange das Geld regiert, dürfen wir uns sonstwie abreagiere­n. Und der Neue auf dem Thron? Ist letztlich nur die Wiederkehr des Alten. „Wir haben ausgeworte­t“, sagt Jelineks Alter Ego zuletzt. Und dass „auch die Nobelpreis­trägerin“keine Antworten hat. Immerhin aber hat sie (und diese Inszenieru­ng) genüsslich den Finger in die Wunden unserer Spaß- und Verblödung­skultur gebohrt.

„Unter Blinden kann kein Blinder König sein.“

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FOTO: ARNO DECLAIR Wenn ich will, lass’ ich die Luft aus der Welt: Benny Claessens als trumpartig­er König von der fürchterli­ch-infantilen Gestalt in „Am Königsweg“.

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