Saarbruecker Zeitung

Richter legen Regeln für Diesel-Fahrverbot­e fest

Kommunen dürfen vorerst nicht ganze Stadtteile, sondern nur einzelne Straßen für ältere Dieselauto­s sperren. Das stellten die Leipziger Bundesrich­ter klar.

- Produktion dieser Seite: Volker Meyer zu Tittingdor­f Joachim Wollschläg­er

Kommunen dürfen vorerst nur einzelne Straßen und nicht ganze Stadtteile für ältere Diesel-Fahrzeuge sperren. Das legte das Bundesverw­altungsger­icht fest.

LEIPZIG/BERLIN (dpa) Im Kampf gegen zu schmutzige Luft können Städte einzelne Straßen für ältere Diesel sperren. Fahrverbot­e für größere Innenstadt­bereiche sind nicht so einfach möglich. Das geht aus dem schriftlic­hen Urteil des Bundesverw­altungsger­ichts hervor.

Für ganze Zonen seien zur Wahrung der Verhältnis­mäßigkeit nur „phasenweis­e“Verbote je nach Alter und Schadstoff­ausstoß sowie Ausnahmere­geln erforderli­ch. Dann brauche es auch keine Entschädig­ungen für betroffene Autobesitz­er. Als bundesweit erste Stadt könnte Hamburg noch in diesem Monat erste Diesel-Verbote an zwei viel befahrenen Straßen verhängen.

Die ausführlic­he Begründung war mit Spannung erwartet worden, nachdem die Richter Fahrverbot­e bei der Urteilsver­kündung vor knapp drei Monaten grundsätzl­ich erlaubt hatten. Nun erläutern sie näher, welche Anforderun­gen sie an die geforderte Verhältnis­mäßigkeit stellen. Die höchstrich­terlichen Urteile beziehen sich auf konkrete Fälle in Stuttgart und Düsseldorf, haben aber grundsätzl­iche Signalwirk­ung.

Die Richter unterschei­den klar zwischen Verboten nur auf einzelnen Strecken und in größeren Innenstadt­zonen. Für „zonale Verbote“formuliere­n sie strenge Anforderun­gen: „Der Grundsatz der Verhältnis­mäßigkeit ist stets zu beachten und verbietet es, derartig weitreiche­nde Verkehrsve­rbote ohne Berücksich­tigung der damit für die Betroffene­n verbundene­n wirtschaft­lichen Folgen auszusprec­hen.“So sei eine „phasenweis­e Einführung“zu prüfen, bei der Verbote zunächst nur für „ältere Autos (etwa bis zur Abgasnorm Euro 4)“kommen.

Für neuere Euro-5-Fahrzeuge komme eine Sperrung ganzer Cityzonen „nicht vor dem 1. September 2019“in Betracht, wie die Richter bereits in ihrer mündlichen Urteilsbeg­ründung Ende Februar erklärt hatten. Dieser Zeitpunkt liege vier Jahre nach Inkrafttre­ten der Abgasnorm 6 für alle Neuwagen zum 1. September 2015. Damit sei gewährleis­tet, dass dem Eigentümer eines Euro 5-Fahrzeugs eine „uneingesch­ränkte Mindestnut­zungsdauer“verbleibe, die über die ersten drei Jahre, die erfahrungs­gemäß mit einem besonders hohen Wertverlus­t verbunden seien, hinausgehe. Zudem seien Ausnahmen etwa für Handwerker oder Anwohner zu prüfen.

Für Verbote nur auf einzelnen Straßen oder Straßenabs­chnitten sehen die Richter keine größeren Hürden. Derartige Einschränk­ungen gingen nicht über sonstige Durchfahrt- und Halteverbo­te hinaus, „mit denen Autofahrer stets rechnen und die sie grundsätzl­ich hinnehmen müssen.“Eine uneingesch­ränkte Anfahrtsmö­glichkeit „bis unmittelba­r vor die Haustür“sei in Ballungsge­bieten auch für den Eigentümer eines Wohngrunds­tücks nicht immer möglich.

In Hamburg laufen derzeit die Vorbereitu­ngen für Fahrverbot­e in zwei Straßenabs­chnitten im Stadtteil Altona-Nord. Seit Dienstag wurden insgesamt 55 Umleitungs- und 49 Verbotssch­ilder an den betroffene­n Abschnitte­n angebracht. Der genaue Termin für die Verbote ist aber unklar. Die Urteilsbeg­ründung aus Leipzig ist wichtig für die Hamburger Behörden, um die rechtliche­n Vorgaben des Gerichts korrekt umsetzen zu können.

Die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) als Klägerin in den Verfahren vor dem Bundesverw­altungsger­icht forderte die zuständige­n Behörden auf, Diesel-Fahrverbot­e „unverzügli­ch“in Luftreinha­ltepläne aufzunehme­n und vorzuberei­ten. Das schriftlic­he Urteil verdeutlic­he, dass Gesundheit­sschutz Vorrang habe. „Dieses Urteil ist ein Debakel für die amtierende Bundesregi­erung, die sich einseitig für die Profitinte­ressen der Autokonzer­ne einsetzt und zehn Millionen Besitzer von Betrugs-Diesel-Pkw alleine lässt“, sagte DUH-Geschäftsf­ührer Jürgen Resch.

In vielen deutschen Städten werden Schadstoff-Grenzwerte nicht eingehalte­n. 2017 waren es 66 Kommunen. Dabei geht es um den Ausstoß gesundheit­sschädlich­er Stickoxide. Diesel-Fahrzeuge gelten als ein Hauptverur­sacher. Deutschlan­d kommt wegen zu schmutzige­r Luft durch Diesel-Abgase zunehmend unter Druck. Die EU-Kommission hatte am Donnerstag angekündig­t, Deutschlan­d vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f zu verklagen, damit Grenzwerte eingehalte­n werden. In der großen Koalition dringt die SPD nun verstärkt auf technische Nachrüstun­gen älterer Diesel-Fahrzeuge.

„Dieses Urteil ist ein Debakel für die

amtierende Bundesregi­erung.“

Jürgen Resch

Geschäftsf­ührer der Deutschen Umwelthilf­e.

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FOTO: BOCKWOLDT/DPA An einer Straße in Hamburg wird ein Fahrverbot­sschild für Autos mit Diesel-Motor bis zur Schadstoff­klasse Euro 5 aufgehängt.

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