Saarbruecker Zeitung

Als ein Spenderorg­an vom Himmel fiel

Ulrich Richters Leben hing jahrelang an einem Sauerstoff­gerät. Der Mann aus Dudweiler litt an einer unheilbare­n Lungenkran­kheit. Eine Transplant­ation rettete ihn.

- VON MICHÈLE HARTMANN

SAARBRÜCKE­N/HOMBURG Ein Gänsehaut-Moment ereilt die Zuhörerin, als der Mann die Geschichte seines Lebens erzählt. Die Geschichte seines Weiterlebe­ns. Die Geschichte vom Tod, der scheinbar unaufhalts­am immer näher kam. Bis zu diesem Moment: Als Oberarzt Dr. Frank Langer plötzlich an seinem Bett steht und ihm die Nachricht überbringt, die das Gehirn nahezu überflutet. Dass das erwartete Flugzeug gelandet ist. Und dass damit die Erlösung naht. Erneut heftige Gänsehaut – am Wohnzimmer­tisch des Ehepaares Richter in Dudweiler. Ganz entspannt sitzt Ulrich Richter da, äußerlich sieht es jedenfalls so aus. In seinem Innern jedoch sind Ruhe und Gelassenhe­it noch längst nicht angekommen. Wie denn auch? Das Ereignis, das ihm ein all zu frühes Ableben ersparte, liegt noch nicht all zu lange zurück. Doch fangen wir von vorne an.

Ulrich Richter, heute 63 Jahre alt, bekommt vor zehn Jahren die Diagnose Lungenfibr­ose. Die Krankheit geht mit einer sehr eingeschrä­nkten Sauerstoff­aufnahme einher. Zur Fibrose gesellt sich COPD: Chronic Obstructiv­e Pulmonary Disease. Eine Erkrankung, die mit Husten und Atembeschw­erden verbunden ist. Und meist Raucher heimsucht. Ulrich Richter raucht mit 14, 15 Jahren seine erste Zigarette. Und bleibt an der Fluppe hängen.

Später nun Fibrose plus COPD: Es stellt sich sehr starker Husten ein, besonders beim Aufstehen morgens und abends beim Zubettgehe­n. Schwere Luftnot bei körperlich­er Belastung kommt hinzu. 53 Jahre alt ist der ZF-Mitarbeite­r, als er erfährt, dass er unheilbar krank ist. Ulrich Richter stellt das Rauchen ein, plötzlich geht es. Ohne Sauerstoff-Zufuhr geht aber nichts mehr. Zunächst nur über Stunden. Dann dauerhaft bis am Ende die sehr ungewöhnli­che, fast unvorstell­bare Menge von 30 Litern pro Tag erreicht ist. Diese Menge an flüssigem Sauerstoff kann nur noch im Krankenhau­s verabreich­t werden, an der Uniklinik in Homburg, in der Pneumologi­e. Zu Hause ist da nichts mehr zu machen.

Ute Richter schildert sehr plastisch, wie sich zuvor die Sauerstoff-Versorgung im Eigenheim gestaltete: zwei ausladende Behältniss­e standen im Flur, zwei im Schlafzimm­er. Dazwischen zogen sich die Schläuche durchs Haus. Mobile Geräte kamen dann zum Einsatz, wenn Richters mal kurz das Haus verließen. Nur mal rasch einkaufen – mehr war nicht drin, erzählt Ehefrau Ute. Ihren Mann begleitete derweil die stete Angst zu ersticken. Die Angst, dass die Sauerstoff­zufuhr versagen oder das lebenserha­ltende Gas unterwegs nicht ausreichen könnte.

Nach jahrelange­m Martyrium wird Ulrich Richter schließlic­h auf die Transplant­ations-Warteliste gesetzt. Sein Zustand verschlech­tert sich indes zusehends, die Lebensqual­ität geht gegen Null. Am Ende steht das Schlimmste zu befürchten. Und dann am 28. Februar, einem Mittwoch, kommt – gleich nach der Landung des Flugzeugs – der Operateur ins Krankenzim­mer: Privatdoze­nt Dr. Frank Langer von der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchiru­rgie. Er sagt: „Wir haben ein Spenderorg­an für Sie.“Es sei gewisserma­ßen vom Himmel gefallen. Die Operation erfolge in Kürze. „Das vergesse ich nie“, sagt unser Gegenüber am Wohnzimmer­tisch, „Heulen und Lachen, Angst und Freude – die Gefühle haben sich überschlag­en.“Bei Ute Richter spielten sich innerlich ähnliche Szenen ab. Erst konnte sie nicht fassen, dass endlich ein Lungenflüg­el für ihren Mann in der Uniklinik eingetroff­en war, dann konnte sie nur noch weinen, bis ganz allmählich die Zuversicht der so lange aufgestaut­en Anspannung wich. Ulrich Richter weiß nur, dass das für ihn bestimmte Organ aus Belgien kam. Alles andere unterliegt strengem Stillschwe­igen. Gut zwei Stunden dauerte die OP, erzählt Dr. Langer. Und alles geht gut. Auch dank der Routine des Operateurs. Der 49-Jährige ist Spezialist für Lungentran­splantatio­nen. Mit ihm und dem gesamten Team, das die schwersten Stunden sowie den Prozess der Heilung begleitete, ist das Ehepaar Richter hoch zufrieden. „Ich konnte immer anrufen. Und ich war permanent mit der Klinik in Verbindung“, lobt Ute Richter zudem die Zuwendung und Einfühlsam­keit, die sie erlebte. Lob gilt auch Professor Heinrike Wilkens von der Pneumologi­e, die ihren Mann betreute.

Am 12. April wurde der Patient aus dem Krankenhau­s entlassen. Er, der nun eine stattliche Anzahl Tabletten schlucken muss, wird noch regelmäßig in der Uni-Klinik überwacht. Ein Sauerstoff­gerät braucht er nicht mehr, und die Gesichtsfa­rbe ist stellenwei­se nicht mehr blau, sondern rosig. Ein erstes großes Highlight im neuen Leben gab es vor wenigen Tagen, als Ulrich Richter sein Stammlokal – etwa 50 Meter von seinem Haus entfernt – aufsuchte, um einen Sprudel zu trinken und mit den Leuten am Buffet ins Gespräch zu kommen. Herzlich empfangen wurde er dort, alle gratuliert­en zum Happyend. Derweil macht Ute Richter schon erste bescheiden­e Pläne: Mal wieder eine kleine Tagestour, dann auch mal das Wochenende woanders verbringen. Einfach nach langer Zeit etwas gemeinsam erleben.

Und was sagt Dr. Langer, der Transplant­eur in Zeiten, in denen in Deutschlan­d dem Thema Organspend­e mit so viel Misstrauen begegnet wird? „Mein größter berufliche­r Wunsch wäre es“, sagt er, ,,wenn Menschen ihre Organe nicht in den Himmel mitnehmen, sondern dass diese doch lieber vom Himmel fallen.“

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FOTO: IRIS MAUER Mehr Lebensqual­ität für Ulrich Richter, aber auch für seine Frau Ute: Seit der Transplant­ation gehört das Sauerstoff­gerät der Vergangenh­eit an.
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FOTO: THOMAS SEEBER Ihnen hat Ulrich Richter sein Leben zu verdanken: Frank Langer und Heinrike Wilkens von der Uniklinik Homburg.

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