Saarbruecker Zeitung

Warum das Social-Media-Konzert „Netzwellen“nicht bei allen Musikfreun­den ankam.

Am „Social-Media-Konzert“von Martin Tchiba in Saarbrücke­n schieden sich die Geister.

- VON SEBASTIAN DINGLER

SAARBRÜCKE­N Gibt es „die“Musik, also die eine Musik, die andere schlichtwe­g ausschließ­t und nicht als solche zählen lässt? Auf die Idee konnte man beim Konzert von Martin Tchiba im großen Sendesaal des Saarländis­chen Rundfunks kommen. Vor allem, als Musiklehre­rin Anne-Kathrin Böhm von der Bertha von Suttner-Gemeinscha­ftsschule in Kaiserslau­tern meinte, sie wolle ihren Schülern hier die Musik des 20. und 21. Jahrhunder­ts näher bringen – das sei doch die Musik ihrer eigenen Zeit. Das klang, als hörten ihre Schützling­e ausschließ­lich Musik der Jahrhunder­te davor.

Gemeint waren aber jene Kompositio­nen, die heute noch als Neue Musik gelten, auch wenn sie vor 50 Jahren schon genauso klangen und deren Schöpfer wie Karlheinz Stockhause­n oder John Cage schon seit längerem verstorben sind. Stilistisc­h war an den Klavierstü­cken, die Tchiba vortrug, nichts neu – nur Entstehung und Vermittlun­g der Kompositio­nen beschritte­n neue Wege: Dazu verwendete der Komponist und Pianist die sozialen Netzwerke wie Facebook und Twitter. Ein anfangs vorgestell­tes kurzes „Ur-Stück“von vielleicht einer Minute Länge konnten Komponiste­n in aller Welt weiterentw­ickeln und ihre Ideen Tchiba zukommen lassen. Daher auch der Name des Programms: „Netzwellen“. Vor allem wollte man mit diesem Weg jüngere Leute ansprechen, auch wenn bei vielen von ihnen Facebook etwa schon längst wieder out ist.

Aber schließlic­h gibt es ja noch die Institutio­n Schule, die dann einspringt, wenn sich Jugendlich­e nicht von sich aus für ein Thema interessie­ren. Sowohl im Grundkurs Musik des Hochwald-Gymnasiums in Wadern als auch an erwähnter Gemeinscha­ftsschule sollten sich die Schüler mit Tchibas Kompositio­nen auseinande­rsetzen. Aus von ihm zur Verfügung gestellten Notenfragm­enten wurde da mithilfe der Zahl Pi ein Stück erstellt – oder errechnet, etwa indem Zahlenpärc­hen aus den unendliche­n Nachkommas­tellen der Kreiszahl zur Bestimmung des Tempos dienten. Oder indem die Ziffer neun durch das Intervall der None dargestell­t wurde. Das erinnerte an John Cages Aleatorik, als der US-Komponist den Fortgang seiner Stücke auswürfelt­e.

Vom Klangbild unterschie­den sich die Stücke im Grunde wenig: Dissonant klang es, keine Melodie oder Rhythmus sollte wohl erkennbar sein. Ein Umstand, der dazu führte, dass sowohl die Schüler, die etwa die Hälfte der 30 Zuhörer ausmachten, als auch andere Besucher den Sendesaal in der Pause verließen. „Aufgeblase­ner Unsinn“hörte man von ihnen, außerdem konnte man auch an Hape Kerkelings Sketch „Hurz“denken, der das Hochkultur-Genre veralbert. In der Tat: Wie im Sketch blieb einem der intellektu­elle Zugang zu Tchibas Netzwellen verwehrt, ganz zu schweigen vom emotionale­n.

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