Warum das Social-Media-Konzert „Netzwellen“nicht bei allen Musikfreunden ankam.
Am „Social-Media-Konzert“von Martin Tchiba in Saarbrücken schieden sich die Geister.
SAARBRÜCKEN Gibt es „die“Musik, also die eine Musik, die andere schlichtweg ausschließt und nicht als solche zählen lässt? Auf die Idee konnte man beim Konzert von Martin Tchiba im großen Sendesaal des Saarländischen Rundfunks kommen. Vor allem, als Musiklehrerin Anne-Kathrin Böhm von der Bertha von Suttner-Gemeinschaftsschule in Kaiserslautern meinte, sie wolle ihren Schülern hier die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts näher bringen – das sei doch die Musik ihrer eigenen Zeit. Das klang, als hörten ihre Schützlinge ausschließlich Musik der Jahrhunderte davor.
Gemeint waren aber jene Kompositionen, die heute noch als Neue Musik gelten, auch wenn sie vor 50 Jahren schon genauso klangen und deren Schöpfer wie Karlheinz Stockhausen oder John Cage schon seit längerem verstorben sind. Stilistisch war an den Klavierstücken, die Tchiba vortrug, nichts neu – nur Entstehung und Vermittlung der Kompositionen beschritten neue Wege: Dazu verwendete der Komponist und Pianist die sozialen Netzwerke wie Facebook und Twitter. Ein anfangs vorgestelltes kurzes „Ur-Stück“von vielleicht einer Minute Länge konnten Komponisten in aller Welt weiterentwickeln und ihre Ideen Tchiba zukommen lassen. Daher auch der Name des Programms: „Netzwellen“. Vor allem wollte man mit diesem Weg jüngere Leute ansprechen, auch wenn bei vielen von ihnen Facebook etwa schon längst wieder out ist.
Aber schließlich gibt es ja noch die Institution Schule, die dann einspringt, wenn sich Jugendliche nicht von sich aus für ein Thema interessieren. Sowohl im Grundkurs Musik des Hochwald-Gymnasiums in Wadern als auch an erwähnter Gemeinschaftsschule sollten sich die Schüler mit Tchibas Kompositionen auseinandersetzen. Aus von ihm zur Verfügung gestellten Notenfragmenten wurde da mithilfe der Zahl Pi ein Stück erstellt – oder errechnet, etwa indem Zahlenpärchen aus den unendlichen Nachkommastellen der Kreiszahl zur Bestimmung des Tempos dienten. Oder indem die Ziffer neun durch das Intervall der None dargestellt wurde. Das erinnerte an John Cages Aleatorik, als der US-Komponist den Fortgang seiner Stücke auswürfelte.
Vom Klangbild unterschieden sich die Stücke im Grunde wenig: Dissonant klang es, keine Melodie oder Rhythmus sollte wohl erkennbar sein. Ein Umstand, der dazu führte, dass sowohl die Schüler, die etwa die Hälfte der 30 Zuhörer ausmachten, als auch andere Besucher den Sendesaal in der Pause verließen. „Aufgeblasener Unsinn“hörte man von ihnen, außerdem konnte man auch an Hape Kerkelings Sketch „Hurz“denken, der das Hochkultur-Genre veralbert. In der Tat: Wie im Sketch blieb einem der intellektuelle Zugang zu Tchibas Netzwellen verwehrt, ganz zu schweigen vom emotionalen.