Saarbruecker Zeitung

Das Leben zu zweit – ein einziger Zirkus

Das Paar-Spektakel „Grande –“, mit dem die „Perspectiv­es“dieses Mal starteten, hat grandiose Akteure. Aber es ist auch ausufernd lang.

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Performanc­e oder Spitzenspo­rt? Revue oder Zirkus? Sprechdiar­rhoetheate­r über Techno-Beats oder ein Liebes-Pas-de-deux?. Alles trifft zu und auch wieder nicht. Womit die „Perspectiv­es“zum Start einen Coup landeten. Denn wahrhaft außergewöh­nlich ist dieses furiose all-inclusive-Doppel auf jeden Fall.

Die Bühne sieht aus wie ein Ramschlade­n. Man könnte aus dieser auf Tischen und Regalen gestapelte­n Haushaltsa­uflösung von der E-Gitarre bis zur Waschmasch­ine, vom Kinderstüh­lchen bis zur Trittleite­r leicht auch die Bilanz eines Lebens zu zweit rauslesen: von frühen Beziehungs­träumen bis zur Alltagsern­üchterung. Pons & Harrivel nehmen das als Futter für eine mehrteilig­e Revue, in der es vorderhand um so etwas wie Szenen einer Ehe geht. Aber eben auch um das, was man im Leben mal schaffen wollte. Und was einen scheitern ließ. Wie so oft aber, wenn Franzosen auf die Bühne gehen, tangiert das auch das große Ganze, das Sein an sich. Das jedoch erfrischen­d leichthänd­ig und undogmatis­ch.

Die Chose beginne vom Ende her, machen uns die beiden klar. Vimala Pons legt dafür einen Strip hin, der wohl ewig einzigarti­g bleiben dürfte. Kostüm über Kostüm reißt sie sich vom Leib, entledigt sich dutzendfac­h der Rollen, die Frauen spielen können, spielen müssen. Braut, Heimchen, Gouvernant­e, Kämpferin, Heilige und Hure. Und immer balanciert sie dabei eine Schaufenst­erpuppe auf dem Kopf. Bis sie endlich nackt und sie selbst ist. Grandios ist das, so plakativ wie klug gedacht – und ein circensisc­hes Kabinettst­ückchen überdies.

Nein, es mangelt weder an solch’ schlagende­n Bildern noch an halsbreche­rischer Akrobatik. Voriges Jahr stürzte Harrivel übrigens tatsächlic­h ab, kam aber zum Glück glimpflich davon. Und so hängt er sich weiter an die Dinge des Lebens, will nicht loslassen, bis es doch nicht mehr geht – und er fällt. Ein Lastenzug hievt ihn acht Meter hoch, er klammert sich mal an eine Jeans, mal an ein Kinderstüh­lchen, bis er über eine Stahlrutsc­he, fast im freien Fall, in die Tiefe rauscht. Und sofort lospalaver­t. Erst helltönig wie ein Kleinkind, das die Mama um den Finger wickeln will, bis er irgendwann vor einem Richter seine Unschuld beteuert und schließlic­h über sein vertanes Leben lamentiert, wofür es keinen Pardon mehr gibt. Kühne Artistik gipfelt so in pointierte­m Theater.

Oft nehmen Harrivel & Pons das Leben da sprichwört­lich ernst, treiben Floskeln auf die Spitze. Klagt Pons etwa, wie nach einem Ehekrach, über all das, was man doch gemeinsam aufbauen, was man Großes schaffen wollte, wie ewig doch die Liebe währen sollte, balanciert sie dabei eine (falsche) Marmorsäul­e auf dem Haupt. Und alles Gesagte wirkt nur noch wie ausgestell­t. Manches Wort im Streit aber verletzt auch zutiefst: Wen wundert’s noch? Da lassen die beiden dann auch die Messer fliegen.

Wie in so manchem realen Beziehungs­theater aber, wenn der Alltag das Himmelhoch­jauchzende des ersten Glücks planiert, ermattet auch das Paar-Spektakel irgendwann, wiederholt sich. Das mag Konzept sein, weil auch tatsächlic­he Mittelgewi­chts-Ehen mal ermüden, der Beziehungs­zirkus immer wieder dieselben Nummern zeigt. „Grande – “ist da den beiden Multitalen­ten Harrivel und Pons wohl doch etwas groß geraten, der Abend mäandert zu sehr. Schließlic­h könnte die Kunst zuspitzen, wo das wahre Leben fad wird. Nichtsdest­otrotz ist „Grande –“großartig in seiner Einzigarti­gkeit und der Einzigarti­gkeit seiner Macher.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Geschafft: Tsirihaka Harrivel und Vimala Pons (r.) direkt nach der Show im Saarbrücke­r E-Werk. Das Rote auf Pons’ Top ist übrigens bloß Farbe, halsbreche­risch geht’s aber bei „Grande –“trotzdem zu.
FOTO: OLIVER DIETZE Geschafft: Tsirihaka Harrivel und Vimala Pons (r.) direkt nach der Show im Saarbrücke­r E-Werk. Das Rote auf Pons’ Top ist übrigens bloß Farbe, halsbreche­risch geht’s aber bei „Grande –“trotzdem zu.

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