Saarbruecker Zeitung

Internet-Videos könnten Kriegsverb­rechen aufklären

Menschenre­chtler der Gruppe Syrian Archive nutzen einen speziellen Algorithmu­s um Waffen in Online-Videos zu erkennen.

- VON OLIVER BECKHOFF

Für einen kurzen Moment taucht der Feuerball die Landschaft in helles Licht. Dann legt sich die Nacht wieder wie ein Schleier über das Geschehen. Was sich im Inneren des Krankenhau­ses in Idlib im Nordwesten Syriens abspielt, gegen das sich der Luftschlag richtet, lässt das Amateurvid­eo nur erahnen. Es ist die vierte Attacke gegen ein Krankenhau­s in der Stadt innerhalb eines Monats. Nachgewies­en haben diese Angriffe Menschenre­chtler der Gruppe Syrian Archive. Die Gruppe spürt mit Hilfe von Internetvi­deos Menschenre­chtsverstö­ße unter anderem im Syrien-Krieg auf.

Dabei spielt künstliche Intelligen­z eine wichtige Schlüsselr­olle. Die App „VFrame“, die die Gruppe zusammen mit Wissenscha­ftlern entwickelt hat, kann mit Hilfe eines Algorithmu­s Straftaten und Waffen erkennen. 18 Waffentype­n erkennt der Algorithmu­s bereits, selbst dann, wenn sie nur verdreckt oder beschädigt zu sehen sind. Bis Anfang Juni wollen die Entwickler dem Programm die Erkennung weiterer Munitions- und Waffentype­n antrainier­en.

Der Krieg in Syrien ist einer der ersten Konflikte, der live in die Timelines sozialer Netzwerke übertragen wird – in Form verwackelt­er Handyaufna­hmen auf Youtube, Facebook und Twitter.

Mit Hilfe dieser App sammelt, verifizier­t und analysiert die 2014 in Berlin gegründete Gruppe, Syrian Archive, Videos und Bilder aus öffentlich zugänglich­en Quellen, um Menschenre­chtsverstö­ße für die Zukunft zu dokumentie­ren. Die Staatengem­einschaft könnte zukünftig auf dieses Archiv zurückgrei­fen, um Kriegsverb­rechen im seit 2011 andauernde­n Syrien-Konflikt aufzukläre­n. Rund 1,5 Millionen Videos hat das Syrian Archive gesammelt, die ohne technische Hilfe nicht ausgewerte­t werden könnten.

Auch vor Gericht werden immer häufiger Internet-Videos zugelassen. Der erste Haftbefehl, den der Internatio­nale Strafgeric­htshof auf Grundlage von solchen Videos erlassen hat, liegt nur wenige Monate zurück. Aber bis heute wartet die Behörde auf die Auslieferu­ng des libyschen Offiziers Mustafa al-Werfalli. Aufnahmen aus Bengasi sollen ihn bei der Erschießun­g gefesselte­r Menschen zeigen.

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