Auf ein Bier in Wales schönster Strandbar
Die Region hat mehr zu bieten als Schafe – selbst wenn es hier doppelt so viele wie Einwohner gibt. Zu Besuch im Norden des Landes.
PORTHDINLLAEN Zwei Augenpaare starren Stoßstangen und Scheinwerfer an. Voller Angst. Umzingelt von Blech. Mitten auf einer engen, kurvenreichen Straße im Norden von Wales steht ein Mutterschaf mit seinem Lamm. Sie haben sich verirrt. Das passiert öfters in einem Land, in dem es mehr Schafe gibt als Einwohner.
Die grüne Landschaft ist gesprenkelt mit weißen Flecken. Die Landwirtschaft ist die wichtigste Einnahmequelle vieler Waliser. Doch die meisten der rund drei Millionen Einwohner dieses Fleckchens Erde leben vom Tourismus. Engländer, Schotten und Iren verbringen hier gerne ihren Urlaub, aber auch Deutsche und Amerikaner sind vielgesehene Gäste.
Wer nach Wales kommt, um sein Englisch zu verbessern, darf sich aber nicht wundern, wenn er die Einheimischen nicht immer versteht. Denn in dem kleinen Land im Südwesten von Großbritannien hat eine der ältesten europäischen Sprachen überlebt: Walisisch. Die keltische Sprache prägt das Land, 20 Prozent der Bevölkerung spricht sie. In Schulen wird erst Walisisch gelehrt, dann Englisch. Wer in Wales einen Job im öffentlichen Dienst anstrebt, muss die Muttersprache beherrschen. Um sie zu lernen, gibt es ein eigenes Sprachzentrum in Llithfaen, einem Ort an der Westküste von Wales. Eine schmale Straße führt an steilen Hängen entlang – bis sich an der Küste eine Steinhaussiedlung auftut. Wo früher die Arbeiter eines Steinbruchs lebten, kommen heute die Sprachschüler von „Nant Gwrtheyrn“unter. Sie lernen Walisisch vor einzigartiger Kulisse. Zwischen Felswänden, grünen Wiesen und natürlich jeder Menge Schafe.
Mathieu Penri ist einer der drei Lehrer des Sprachzentrums. Der 26Jährige hat die walisische Sprache studiert. Das gab ihm die Möglichkeit, in seiner Heimat zu bleiben und zu arbeiten. Maximal 15 Schüler hat er in seinen Kursen. In verschiedenen Schwierigkeitsgraden werden sie angeboten. Die meisten Schüler bleiben fünf Tage, um zu büffeln. Zu ihnen gehören viele Amerikaner und Australier.
Bei 600 Flüssen und 230 Seen hat sich in Wales wenig Industrie angesiedelt. Das Land beeindruckt mit einem 1400 Kilometer langen Küstenweg. Er führt über schmale Pfade und breite Sandstrände. Auf dem Weg liegt das „Ty Coch Inn“, ein Pub aus dem 19. Jahrhundert im Fischerdorf Porthdinllaen. Er gilt als drittbeste Strandbar der Welt, zumindest laut einer Untersuchung des britischen Online-Flugportals Cheapflights. Drinnen ist es urig. Wanderer und Einheimische kehren hier ein auf ein Pint Welsh Ale, eine lokale Biersorte. Die irische See und der Sandstrand liegen direkt vor der Tür. Feierabend für Fischer Michael. Auf einer Mauer hat er seine gelbe Fischerhose und die blauen Gummihandschuhe abgelegt. Es ist früh am Abend. In harter Arbeit hat er Säcke voll Schnecken aus dem Meer gefischt. Im „Ty Coch Inn“kennen sie ihn fast alle. Sein Feierabendbier steht schon bereit. Einen leichten Geruch nach Fisch und Meer verbreitet er in dem kleinen Raum mit der niedrigen Decke. Den Geruch hat man in Wales oft in der Nase. Gepaart mit dem Gekreische der Möwen. Wer Erholung und Idylle sucht, findet sie hier.
Auch Kulturliebhaber kommen auf ihre Kosten. Über 600 Burgen und Schlössern laden zu einer Reise in die Vergangenheit ein. Viele davon, wie etwa Conwy Castle oder Caernarfon Castle beeindrucken in riesigen Dimensionen und mit gut erhaltenen Anlagen. Und bei all den Schätzen der Natur und Kultur kommt der Reisende in Futterlaune. Es gibt fangfrische Meeresfrüchte, wie Muscheln, Hummer und Krebse, walisische handgemachte Käsesorten oder etwa Honig-Eis. Und wer sein Herz nicht an die hoppelnden Lämmer auf den grünen Wiesen verloren hat, kann sie sich auf der Zunge zergehen lassen.