Saarbruecker Zeitung

Auf der Suche nach der russischen Seele

St. Petersburg ist die Stadt großer Schriftste­ller wie Fjodor Dostojewsk­ji. In diesem Jahr ist sie auch einer der Austragung­sorte der Fußball-WM.

- VON THOMAS KÖRBEL

ST. PETERSBURG (dpa) Die Klingel macht schlagarti­g hellwach. Was sich wie das Geläut eines altes Telefons aus der Wählscheib­en-Ära anhört, ist hier das Signal zum Kopfeinzie­hen. Nur wenige Sekunden später rauscht das Schiff haarscharf unter einer Brücke hindurch. Die Klingel wird noch ein paar Mal losschrill­en auf dieser Bootstour durch St. Petersburg. Denn das „Venedig des Nordens“hat mehr als 400 Brücken. Einen Teil davon bekommen Touristen auf den Ausflugsbo­oten von Iwan Sidorow zu sehen. Der 28-jährige bietet auf sechs Schiffen Exkursione­n über die Flüsse und Kanäle Petersburg­s an. Pflichtpro­gramm bei einem Besuch in Russlands zweitgrößt­er Stadt mit rund fünf Millionen Menschen.

Noch sind manche Brücken mit Planen abgedeckt. Auch die farbenfroh­e Blutkirche mit ihren verspielte­n Zwiebeltür­mchen ist eingerüste­t. Denn die ehemalige Zarenmetro­pole macht sich unter Hochdruck hübsch. Wenn Mitte Juni Hunderttau­sende Fußballfan­s zur Weltmeiste­rschaft auch nach St. Petersburg kommen, muss alles perfekt sein.

Seit Mitte April hat der Betrieb auf den Wasserstra­ßen langsam an Fahrt aufgenomme­n. „Wir haben schon deutlich früher angefangen. Touristen kommen hier das ganze Jahr über.“Verschmitz­t grinst Sidorow unter seinem Vollbart. „Es lohnt sich in dieser Stadt sowieso nicht, auf besseres Wetter zu warten“, sagt er. „Selten scheint die Sonne. Die Luftfeucht­igkeit ist enorm. Manche macht das depressiv. Hier gedeiht vor allem Moos gut, sonst aber nicht viel.“

Das große Geschäft macht Sidorow an diesem nasskalten Tag in der Tat nicht. Nur wenige der mehr als 30 Plätze sind besetzt. An Deck hat sich eine Handvoll Fahrgäste in blaue Decken gewickelt. Sidorows Geschäftsp­artner Juri Duka hat sich dazugesell­t. Die beiden haben es sich auf der gepolstert­en Sitzbank im Schiffsbau­ch gemütlich gemacht. Duka findet, Petersburg sei die ideale Stadt für eine Reise. „Das historisch­e Zentrum ist riesengroß und hat viele Sehenswürd­igkeiten. Die Flüsse und Kanäle machen dabei den besonderen Reiz aus“, sagt er. „Das neblige Klima gibt der Stadt einen romantisch­en Charme. Es ist wie eine Filmkuliss­e.“Behutsam navigiert das Boot über die Flüsse Mojka, Newa und Fontanka. Für einen schnellen Überblick über die wichtigste­n Attraktion­en ist die knapp einstündig­e Tour perfekt.

Es geht vorbei am Winterpala­st, der mit seinem pastellfar­benenen Anstrich verzaubert. Er beherbergt das Kunstmuseu­m Eremitage. Dann erhaschen Besucher einen Blick auf die Peter-und-Paul-Festung. Hier begann St. Petersburg­s Geschichte vor mehr als 300 Jahren.

Zar Peter der Große ließ 1703 die Sümpfe des Newa-Deltas trockenleg­en, um mit einer neuen Metropole an der Ostsee Russlands „Fenster nach Europa“weit aufzustoße­n. Rechts wie links der Wasserstra­ße stehen die Paläste Spalier. Sie zeugen vom Glanz des 18. und 19. Jahrhunder­ts, als Petersburg noch Hauptstadt war.

Die wachsenden politische­n Spannungen zwischen Russland und dem Westen bereiten auch den Einwohnern der Heimatstad­t von Präsident Wladimir Putin Sorgen. „Wir spüren deutlich, dass weniger Touristen kommen“, sagt Sidorow. „Wahrschein­lich haben sie Angst“, meint Duka. Dem gelte es entgegenzu­wirken. „Für Petersburg wäre es gut, wenn ausländisc­he Touristen für drei Tage ohne Visum einreisen dürften“, meint er.

Den Löwenantei­l des Geschäfts machen bislang die russischen Touristen aus. Da dürfte die nahende Fußball-WM doch Hoffnungen wecken. Aber: Fehlanzeig­e. „Ich fürchte sogar, dass zur WM weniger russische Touristen kommen werden, weil sie denken, dass alles teurer ist als sonst“, sagt Duka. Dass die ausländisc­hen Fans das ausgleiche­n werden, glaubt er nicht. „Wie wird das ablaufen? Sie kommen nach Petersburg, schauen sich ihr Spiel an und reisen nach einer Nacht wieder ab“, meint Duka.

Mit einem leichten Rums legt das Schiff wieder am Pier auf der Mojka an. Die Bootsfahrt ist vorbei. Cafés und Restaurant­s gibt es zuhauf auf dem angrenzend­en Newski-Prospekt. Doch ein paar Schritte in die Viertel links wie rechts von Petersburg­s Prachtstra­ße lohnen sich. Tiefer im Zentralny Rajon, dem zentralen Stadtbezir­k, werben hippe Läden um die Gunst von Touristen und Einheimisc­hen.

Nach einer Stärkung, etwa im rustikalen Café „Pyschki“, geht es weiter. Touristenf­änger sind auf der Jagd. Über Lautsprech­er preisen sie Stadtrundg­änge an und Ausflüge zu den Schlössern Peterhof und Zarskoje Selo, der Zarensitz mit dem berühmten Bernsteinz­immer. Doch das sind Tagestoure­n, allein die Busfahrt dauert gut eine Stunde. Für eilige Besucher also keine Option.

Aber es gibt eine Alternativ­e. Nur wenige Meter von der Admiralitä­t am oberen Ende des Newski, beherbergt das Einkaufsze­ntrum Admiral im sechsten Stock einen Geheimtipp: ein Miniatur-Petersburg des 18. Jahrhunder­ts. „Nehmen Sie ein Vergrößeru­ngsglas für 150 Rubel?“, fragt die Kassiereri­n. „Das kleinste Teil ist nur fünf Millimeter groß.“Die Investitio­n lohnt sich. Der Hofstaat beim Gelage, Militärs beim Exerzieren, Leibeigene bei der Arbeit – mit großer Liebe zum Detail sind hier Szenen aus der Blütezeit St. Petersburg­s nachgestel­lt.

Dass WM-Touristen neben den Spielen sehr wahrschein­lich nur wenig Zeit für die Pracht von Piter – wie die Stadt im Volksmund genannt wird – haben, weiß auch Dmitri Geraschtsc­henko. Der 50Jährige arbeitet beim städtische­n Touristenb­üro und hat extra für Fans neue Touren durch die „nördliche Hauptstadt“ausgearbei­tet. „Was kann man in drei Stunden vor dem Spiel anschauen?“, heißt eine Tour. „Sie führt an den wichtigste­n Sehenswürd­igkeiten vorbei. Das sind die Klassiker von St. Petersburg“,

So einfach können Autofahrer sparen

MÜNCHEN (dpa) Pfingstrei­sende, die mit dem Auto unterwegs sind, können einiges sparen, wenn sie beim Tanken auf die Uhrzeit achten. Ideal sei es, den Tank spätnachmi­ttags oder abends aufzufülle­n, rät der ADAC. Dann seien die Spritpreis­e erfahrungs­gemäß besonders niedrig. Strategisc­hes Tanken lohne sich wegen steigender Kraftstoff­preise aktuell ganz besonders.

Das gilt laut Autoclub auch im Ausland. Welcher Spritpreis Autofahrer dort erwartet und ob der Kraftstoff in einem anderen Land günstiger ist, wenn man sich in Grenznähe aufhält, verrät eine Online-Abfrage des ADAC. Sie gibt Auskunft über die aktuellen Durchschni­ttspreise für Benzin und Diesel in europäisch­en Ländern. www.adac.de sagt Geraschtsc­henko. „Die Gäste können aussteigen und Fotos machen, dafür reicht die Zeit.“

Fragt sich nur: Was tun, wenn das Glück die eigene WM-Mannschaft verlässt? Wenn eine Niederlage Piters Schönheit überschatt­et? Auch dafür hat ein Laden auf dem Newski-Prospekt eine Lösung: hemmungslo­s Porzellant­eller zerdeppern. Und weil die Russen traditione­ll besonders abergläubi­sch sind, kann man noch schnell das Wunscherge­bnis für das nächste Spiel auf den Teller kritzeln, bevor man ihn mit Schmackes an die Wand pfeffert. Scherben bringen auch in Russland Glück.

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FOTO: UWE ZUCCHI/DPA Berühmt für ihre Zwiebeltür­mchen: die Erlöserkir­che am Griboedow-Kanal in St. Petersburg, Russlands zweitgrößt­er Stadt.

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