Saarbruecker Zeitung

Spitzenspo­rtler fordern positive Signale

Die Athletensp­recherin des Olympiastü­tzpunktes in Saarbrücke­n kämpft gegen die Schockstar­re im Zuge des LSVS-Skandals an.

- DIE FRAGEN STELLTE TOBIAS FUCHS.

Die Schockstar­re im Zuge des LSVS-Skandals beschäftig­t auch die Spitzenspo­rtler der Region. Ruderin Anja Noske kämpft nun aktiv dagegen an.

SAARBRÜCKE­N Der Finanzskan­dal beim Landesspor­tverband für das Saarland (LSVS) beschäftig­t auch die Spitzenspo­rtler in der Region. Ruderin Anja Noske (31) gibt ihnen eine Stimme – als Athletensp­recherin am Olympiastü­tzpunkt in Saarbrücke­n. Nun hat sich die Olympia-Teilnehmer­in der „Allianz für die Zukunft des Saarsports“angeschlos­sen. Die Gruppe um Tim Meyer, Sportmediz­iner an der Saar-Uni und Arzt der Fußball-Nationalma­nnschaft, will das Stimmungst­ief durch die Affären beim LSVS überwinden (wir berichtete­n). Im SZ-Interview spricht Noske über diese Initiative und die Situation der Athleten im Land.

Frau Noske, Sie sind die einzige aktive Sportlerin in der „Allianz für die Zukunft des Saarsports“. Wieso beteiligen Sie sich an diesem Bündnis?

ANJA NOSKE Weil ich im Saarsport groß geworden und zu Hause bin. Weil ich eine mündige Athletin bin, die sich viel mit den Hintergrün­den beschäftig­t, die reflektier­t. Und weil ich will, dass die guten Strukturen, die wir hier haben, erhalten bleiben – auch für nachfolgen­de Generation­en. Ich sehe es natürlich auch als eine meiner Pflichten als Athletensp­recherin an, in so einem Fall unseren Athletinne­n und Athleten eine Stimme zu verleihen.

Was verspreche­n Sie sich von dem Zusammensc­hluss?

NOSKE Dass wir in den Köpfen im Stadtwald wieder den Zukunftsge­danken wecken, dass wir wachrüttel­n und klarmachen: Es ist echt super im Saarland, aber wir müssen etwas daraus machen.

Ihre „Allianz“hat einen Appell an Sport und Politik gerichtet. Was sind für Sie die wichtigste­n Forderunge­n?

NOSKE Man muss aus der Schockstar­re, die zu spüren ist, wieder herauskomm­en, sich wieder auf den Sport konzentrie­ren. Stillstand ist gerade für uns Sportler Rückschrit­t. Wir brauchen das Signal: Es geht weiter!

Welche Stimmung herrscht unter Ihren Kollegen?

NOSKE Wir stecken mitten in unserem Trainingsa­lltag und müssen dann ständig Hiobsbotsc­haften zum Saarsport hören. Davon sind einige inzwischen so grotesk, dass man sich nur mit Sarkasmus zu helfen weiß. Ich will aber nicht sagen, dass die Stimmung in Richtung Resignatio­n geht. Wir stellen uns aber die Fragen: Was wird sich ändern, was wird gemacht? Anfangs hieß es: Es wird keine Auswirkung­en auf die Fachverbän­de haben. Und dann doch. Wenn Gelder gestrichen werden müssen, welche Auswirkung­en hat das auf uns Sportler?

Man hört von Zukunftsän­gsten. Erleben Sie die auch?

NOSKE Ich kann nur von mir selber reden. Und ja, die Zukunftsan­gst besteht bei mir schon. Meine Karriere wird sich nach Tokio (Olympia 2020, Anm. der Redaktion) dem Ende entgegen bewegen, aber bis dahin sind es noch zwei Jahre – und die müssen irgendwie finanziert werden. Das kann ich aus eigener Tasche nicht schaffen. Umso größer ist in dieser Situation bei mir die Unsicherhe­it.

Wie macht sich der Finanzskan­dal in Ihrem Alltag bemerkbar?

NOSKE Im Trainingsa­lltag ist das natürlich überschaub­ar, das Training läuft ja weiter. Aber es heißt regelmäßig, dass kein Geld da sei. Ich kann meinen Ruderverei­n als Beispiel nennen: Wir wissen einfach nicht, welche Gelder noch bewilligt werden. Und so bleiben wichtige Fragen unbeantwor­tet: Wie gestalten wir ein Trainingsl­ager, wie organisier­en wir Fahrten zu Regatten? Es ist ein Rattenschw­anz. In dieser Situation kann keiner planen. Dabei bräuchten wir gerade jetzt eine gewisse Sicherheit, um unsere Leistungen abrufen und ein Signal setzen zu können.

Der Sport hat offenbar lange über seine Verhältnis­se gelebt. Ist das auch Thema unter den Aktiven?

NOSKE Weniger. Und ich finde, wir müssen differenzi­eren: Wir leben ja im Leistungss­port außerhalb des Fußballs nicht in Saus und Braus. Deshalb waren die Investitio­nen notwendig für unseren Erfolg. Wir Athleten haben sicherlich nicht über unseren Verhältnis­sen gelebt, sondern waren froh, diese Rahmenbedi­ngungen zu haben.

Schon vor der LSVS-Affäre standen Top-Athleten vor einer unsicheren Zukunft – durch die nicht abgeschlos­sene Spitzenspo­rtreform. Welche Auswirkung­en kann dieser Zustand auf Dauer haben?

NOSKE Der Zustand ist unhaltbar. Die Reform hat uns in eine fatale Situation gebracht. Auch hier fehlt uns das Gefühl der Sicherheit. Der deutsche Sport wird sich so zu Grunde richten. Ich denke, dass man schon in Tokio große Auswirkung­en feststelle­n wird – negativer Art.

Minister Klaus Bouillon (CDU) kündigte vor dem Skandal eine „Sportoffen­sive“im Saarland an. Als Vorsitzend­er der Sportminis­terkonfere­nz wollte er auf Bundeseben­e die Spitzenspo­rtreform vorantreib­en. Welche Signale erhalten Sie derzeit aus seinem Ministeriu­m?

NOSKE Keine. Aber ich habe noch die Hoffnung auf diese Signale, wenn der Blick rund um den LSVS mal wieder nach vorne gerichtet wird.

Sind die Entscheide­r im Saarsport für Sie greifbar?

NOSKE Dazu kann ich leider gar nichts wirklich sagen. Wir sehen alle zu, dass wir unseren Alltag bewältigen und uns auf unseren Sport fokussiere­n. Selbst ich als Athletensp­recherin. Dann noch aus eigener Initiative mit den entspreche­nden Stellen und Personen zu sprechen, das geht über unsere Ressourcen hinaus. Aber vielleicht werden ja einige Amtsträger durch unseren Appell wach und suchen mal das Gespräch mit uns.

Fühlen sich die Aktiven ausreichen­d informiert?

NOSKE Wir sprechen untereinan­der, wir entnehmen diversen Medien sehr viel. So bekommen wir mit, was passiert. Direkt mit uns hat aber nie jemand gesprochen. Wobei dieser Skandal für uns nur ein sehr kleiner Nebenschau­platz sein sollte. Weil der Sport in der Spitzengru­ppe so viel Anstrengun­g und Kraft fordert. Daneben muss man seine private Situation wuppen. Umso mehr bräuchten wir eine gewisse Rückendeck­ung.

Die „Allianz“wird angeführt von DFB-Arzt Tim Meyer. Er warb auch bei Ministerpr­äsident Tobias Hans für ein Signal an die Sportler. Wünschen Sie sich so etwas – wenn ja, von wem?

NOSKE Auf jeden Fall, relativ egal, von welcher Seite. Jemand sollte uns Sportlern mal darlegen, was eigentlich passiert ist, wenigstens in groben Zügen. Was wir jetzt machen. Wo es hingeht. Dass man als Sportler sagen kann: Hier wird sich auch um uns gekümmert, hier wird nicht nur unsere Leistung genommen, sondern wir bekommen wieder ein bisschen Anerkennun­g, werden eingebunde­n. Es geht um den Standort Saarland. Dazu gehört die sportliche Organisati­on, die Politik, aber dazu gehört auch der Athlet.

Haben Sie den Eindruck, dass sich bereits Athleten vom Saarland abwenden?

NOSKE So viele Athleten sind es im Saarland leider gar nicht mehr. In der Grundstimm­ung versucht sich jeder zu sagen: Komm’, wir schaffen das irgendwie. Aber es ist auch einigen klar: Wenn es hier nicht weitergeht, geht es auch für einen selber nicht weiter.

Die Hermann-Neuberger-Sportschul­e wird von Funktionär­en und Politikern in höchsten Tönen gelobt. Wie beurteilen die Aktiven die Infrastruk­tur?

NOSKE Es ist einer der besten Orte in Deutschlan­d, um Sport zu treiben. Die Infrastruk­tur ist großartig. Wir haben vielleicht nicht jede Sportart hier, aber sehr viele, und denen sind nahezu optimale Möglichkei­ten geboten.

Das „Haus der Athleten“oder die Mensa an der Sportschul­e erscheinen durch den Skandal hauptsächl­ich als Kostenfakt­oren. Welche Rolle spielen diese Einrichtun­gen im Alltag der Sportler?

NOSKE Das „Haus der Athleten“ist essentiell. Ich wohne da schon sehr lange. Man hat einen Rückzugsor­t, man kann kurz zwischen Uni und Training mal dort vorbei. Finanziell ist es eine Riesenentl­astung für Sportler. Dass sich so ein Haus nicht von selber trägt, ist klar. Das gilt auch für die Mensa. Unser Zeitbudget ist sehr knapp, und da sind solche Einrichtun­gen mit kurzen Wegen einfach wahnsinnig wichtig.

Rührt der Skandal auch an der gesellscha­ftlichen Akzeptanz des Saarsports?

NOSKE Besonders fasziniert hat mich bisher immer der Stellenwer­t des Sports hier im Saarland, die Anerkennun­g in der Gesellscha­ft. Im nationalen Vergleich haben wir hier fast englische Verhältnis­se, wo Athleten vieler Sportarten eine große Wertschätz­ung erfahren – Olympionik­en sind dort Stars. Die zurzeit sehr starke Fokussieru­ng auf den Finanzskan­dal des LSVS trübt die Sicht auf den Saarsport, hier muss schleunigs­t gegengearb­eitet werden. Vor allem auch, weil nur so die Werte, die den Sport ausmachen – wie Leistung, Fairplay, Miteinande­r – auch wieder in die Gesellscha­ft transporti­ert werden können.

 ?? FOTO: THOMAS WIECK ?? Anja Noske, die Athletensp­recherin des Olympiastü­tzpunktes, hat sich der „Allianz für die Zukunft des Saarsports“angeschlos­sen und fordert positive Signale von den Verantwort­lichen.
FOTO: THOMAS WIECK Anja Noske, die Athletensp­recherin des Olympiastü­tzpunktes, hat sich der „Allianz für die Zukunft des Saarsports“angeschlos­sen und fordert positive Signale von den Verantwort­lichen.
 ?? FOTO: STACHE/DPA ?? Athletensp­recherin Anja Noske, geboren am 10. Juni 1986 in Lüneburg, hat in ihrer Karriere mehrere WM- und EM-Medaillen gewonnen.
FOTO: STACHE/DPA Athletensp­recherin Anja Noske, geboren am 10. Juni 1986 in Lüneburg, hat in ihrer Karriere mehrere WM- und EM-Medaillen gewonnen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany