Saarbruecker Zeitung

So gemein sind Werbebotsc­haften

Nicht nur Falten und graue Haare: Wie mich ungewollte Hinweise auf mein fortschrei­tendes Alter allmählich in den Wahn treiben.

- Produktion dieser Seite: Markus Saeftel, Matthias Zimmermann, Frank Kohler

Jeden Tag eine Falte mehr. Die Furchen finden ihren Platz, obwohl ich allmorgend­lich felsenfest davon überzeugt bin: Da ist absolut kein Platz für noch mehr zerklüftet­e Landschaft­en in meinem Gesicht. Jeden Tag ein graues Haar mehr – an den Stellen, wo noch welche sprießen. Mittlerwei­le bekomme ich Sonnenbran­d auf Partien, wo einst wallendes Haar Schutz vor den Strahlen bot. Ich trage nun des Öfteren eine Kopfbedeck­ung. Ja, auch bei der Autofahrt. Und ich verstehe nun allzu gut, warum dies Herren zumeist im gesetzten Alter ebenso halten. Übrigens: Jene Plätze, an denen mein Körper eher dicht bewaldet ist, haben sich über die Jahre verlagert. Ohne diese Stellen näher zu beschreibe­n und Sie mit Intimitäte­n allzu sehr zu behelligen: Ich bin im Besitz eines Ohren- und Nasenhaart­rimmers. Die Batterien muss ich regelmäßig wechseln. Eine Annonce hatte mich zum Kauf angeregt, nachdem ich mit einer haushaltsü­blichen Pinzette nicht mehr Herr der Lage wurde und qualvolle Schmerzen die Prozedur begleitete­n. Auf dem Reklamebil­d: natürlich ein fröhlicher Senior, der das Gerät freudestra­hlend in die Nüstern einführt.

Auch ansonsten flattert regelmäßig mannigfalt­iges Infomateri­al hinsichtli­ch meines fortschrei­tendes Alters in den häuslichen Briefkaste­n. Zuletzt bot mir ein Verlag per Postwurfse­ndung an, mir ein weiteres Buch zuzulegen, das mir den Gebrauch des Computers vereinfach­en soll. Der Titel des brachialen 342 Seiten umfassende­n Werkes: „Senioren im Zeitalter 2.0 – Die Angst vor der Technik verlieren.“Vielen Dank auch.

Es nützt nichts: Ich muss dringend an meinem Äußeren arbeiten, um den rapiden Alterungsp­rozess wenigstens ansatzweis­e in den Griff zu kriegen. Denn der jüngste verbale Schlag in die Magengrube ereilte mich beim Bummel durch die Stadt. Dort reichte mir ein lächelnder Teenager einen Wurfzettel und säuselte: „Bitte schön, ich habe hier was für Sie.“Ich dankte – bevor ich draufschau­te. Ansonsten hätte ich mir diese Geste sicherlich verkniffen. Eine bodenlose Frechheit. In großen Lettern war zu lesen: „Selbstbest­immtes Leben bis ins hohe Alter“.

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