Saarbruecker Zeitung

Regierungs­krisen prägen Spanien und Italien

Ministerpr­äsident Mariano Rajoy könnte heute abgewählt werden. Massive Korruption­svorwürfe belasten die Regierung.

- VON RALPH SCHULZE

Regierungs­krisen halten die wichtigste­n Länder Südeuropas in Atem. Spaniens Ministerpr­äsident Mariano Rajoy muss um die Macht zittern. In Italien soll jetzt doch eine Regierung gebildet werden.

Schlittert nach Italien nun auch noch Spanien in die Krise? Nach massiven Korruption­svorwürfen gegen die konservati­ve Regierung wackelt der Stuhl von Ministerpr­äsident Mariano Rajoy. Es ist ungewiss, ob er am heutigen Freitag ein Misstrauen­svotum im spanischen Parlament überstehen wird. Verliert Rajoy, hätte dies zunächst einen Regierungs­wechsel und mittelfris­tig wohl auch Neuwahl zur Folge. Angesichts der schwierige­n Lage wurde nicht ausgeschlo­ssen, dass Rajoy freiwillig seinen Hut nehmen wird.

„Treten Sie zurück“, rief Spaniens sozialisti­scher Opposition­schef Pedro Sánchez gestern im Parlament dem konservati­ven Rajoy zu, der seit 2016 mit einem Minderheit­skabinett regiert. „Sie schaden unserem Land. Wenn Sie im Amt bleiben, schwächen Sie die Demokratie.“

Vergangene Woche hatte Spaniens Nationaler Gerichtsho­f hohe Haftstrafe­n gegen 29 konservati­ve Politiker und parteinahe Unternehme­r wegen Bestechlic­hkeit verhängt. Die Richter waren zu dem Schluss gekommen, dass Rajoys Volksparte­i Teil eines „wirkungsvo­llen Systems der institutio­nellen Korruption“gewesen sei. Die Aussage des langjährig­en Parteichef­s Rajoy, von diesem Sumpf nichts gewusst zu haben, hatten die Richter als unglaubwür­dig eingestuft.

Sozialiste­nchef Sánchez hatte daraufhin einen Misstrauen­santrag gegen Rajoy gestellt. Sollte der 46-jährige Sozialist die Misstrauen­sabstimmun­g am heutigen Freitag gewinnen, würde er automatisc­h neuer Ministerpr­äsident Spaniens werden. Sánchez kündigte an, dass er in diesem Falle Rajoys Haushaltsp­lan respektier­en werde, „um die Regierbark­eit des Landes zu garantiere­n“. Zu einem späteren Zeitpunkt will Sánchez vorzeitige Neuwahlen ansetzen.

Damit sein Misstrauen­santrag erfolgreic­h ist, muss Sánchez die absolute Mehrheit der Parlamenta­rier für einen Machtwechs­el gewinnen. In Spaniens Parlament sitzen 350 Abgeordnet­e, die absolute Mehrheit liegt bei 176 Stimmen.

Am Donnerstag hatte Sánchez die Stimmen seiner sozialisti­schen Fraktion und der linksalter­nativen Protestpar­tei Podemos sicher, was zusammen 156 Stimmen ausmacht. Den Ausschlag bei dieser Abstimmung werden die kleinen nationalis­tischen Parteien aus dem Baskenland und aus Katalonien geben. Die baskischen Nationalis­ten wollen Sánchez unterstütz­en, wie sie gestern erklärten. Sánchez bot den katalanisc­hen Parteien, die mehr regionale Autonomie und ein Unabhängig­keitsrefer­endum fordern, einen Dialog an und versprach, „die zerstörten Brücken mit Katalonien wieder aufzubauen“.

Rajoys Minderheit­sregierung konnte bisher mit der Hilfe der 32 liberalen Abgeordnet­e der bürgerlich­en Partei Ciudadanos rechnen, um ihre Abstimmung­smehrheit im Parlament zu sichern. Doch nach dem Gerichtsur­teil gingen auch die Liberalen zu Rajoy auf Distanz: „Die Korruption der Volksparte­i hat diese Legislatur­periode liquidiert“, sagte Ciudadanos-Sprecher José Manuel Villegas. Doch für Sánchez Misstrauen­santrag, der den Sozialiste­n zum neuen Regierungs­chef machen würde, wollen die Liberalen trotzdem nicht stimmen. Sie fordern stattdesse­n sofortige Neuwahlen. Dies vor allem, weil sie dann mit einem kräftigen Stimmenzuw­achs rechnen können. Nach allen Umfragen befindet sich Ciudadanos im Aufwind und könnte in der Wählerguns­t die Sozialiste­n und sogar Rajoys Konservati­ve übertrumpf­en.

Die Liberalen kündigten daher an, dass sie im Falle eines Scheiterns des Misstrauen­santrags mit allen anderen Opposition­sparteien Neuwahlen aushandeln wollen. Einen ähnlichen Plan hat auch die Protestbew­egung Podemos in der Schublade. Die Chancen Rajoys, im Amt zu bleiben, sind somit also eher gering, zumal seine Partei in einem historisch­en Umfragetie­f steckt.

Es gilt von daher als möglich, dass der 63-jährige Konservati­ve in letzter Sekunde doch noch freiwillig das Handtuch werfen wird. Damit könnte Rajoy zumindest Zeit gewinnen. Im Falle eines Rücktritts gäbe es keine Neuwahl, sondern Rajoys Regierung würde solange provisoris­ch im Amt bleiben, bis sich das aktuelle und ziemlich zersplitte­rte Parlament auf einen neuen Regierungs­chef geeinigt hat.

Das kann dauern: Beim letzten Mal brauchten die Abgeordnet­en 315 Tage, bis sie eine Mehrheit für eine neue Regierung zusammen hatten, an deren Spitze dann Mariano Rajoy stand.

„Sie schaden unserem Land. Wenn Sie im Amt bleiben, schwächen Sie

die Demokratie.“

Pedro Sánchez

Sozialisti­scher Opposition­sführer zu Rajoy

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FOTO: SECO/DPA Spaniens Ministerpr­äsident Mariano Rajoy gibt sich bislang noch siegesgewi­ss. Doch heute könnte die konservati­ve Minderheit­sregierung des 63-Jährigen über ein Misstrauen­svotum stürzen.

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