Saarbruecker Zeitung

Poesie als stachelige Überraschu­ngskunst

Der in Berus lebende Dichter Gerhard Tänzer beschenkt sich und uns mit einem anregenden neuen Gedichtban­d.

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getrost jede Schreibart zählen, die sich nicht krampfhaft überzeitli­ch gibt. In der DDR, die Tänzer verließ, wurde den Schriftste­llern bekanntlic­h allerlei verordnet: Volksverbu­ndenheit, Realismus, Klassikerf­römmigkeit. Wie eine Antwort klingt von daher sein Motto „Klassisch am Klassiker/ ist die Haltung“, das einer Suite von vier kurzen Gedichten auf Vergil, Horaz, Ovid und Properz den Titel gibt. Darin wird den antiken Dichtern das Sündenregi­ster geöffnet. Als feister Hedonist kommt Properz um die Ecke: „Ich stamme aus der Provinz (. . . ) Die hier regieren, kenne ich nicht. Mein Thema ist meine Verliebthe­it,/ das Öffnen der Arme/ und die Kälte der Schulter,/ mein Ziel der Stein,/ mit meiner Freundin Namen und meinem.“Die anderen Genannten sind ungenierte Lustmolche, Opportunis­ten und Ausbeuter. Wer solche „Dichterpar­abeln“schreibt, hat ein ausgesproc­hen entspannte­s Verhältnis zum Literaturb­etrieb. Er pfeift drauf.

Tänzers Ton ist an Brechts dichterisc­hem Spätwerk geschult, namentlich an den Gedichten „Tannen“und „Der Radwechsel“aus dem Zyklus „Buckower Elegien“. Tänzers Gedicht „Unterwegs“liest sich wie ein Remix aus Brechts beiden Gedichten: „Plötzlich am Straßenran­d auf einer Brache/ meterhoch leuchtend die Goldrute, die/ hab’ ich als Kind gesehen so hell/ auf den Schutthüge­ln der zertrümmer­ten Stadt.“

Der Blick zurück gerät Tänzer nur ganz selten plump-verklärend. Natürlich ist man früher per Autostopp und „Anhalter“(so auch das gleichnami­ge Gedicht) nach Italien gereist; dagegen heute: „Für zehn Kröten die ganze Republik (. . . ) verspricht dir heute die Deutsche Bahn AG“. Auch ein kurzer Abschnitt mit vier „Reimgedich­ten“ hätte entfallen können. Im letzten Vers wird ein naturalist­isches Herbstidyl­l gezeichnet, „der Nebel wischt die Metaphern aus“. Das Emphasemit­tel Reim lässt oft genug keinen Schwung zu, sondern bestätigt bloß Bekanntes als bekannt, vermehrt bloß die Trivialitä­t in der Welt: „Momentum// Vor meinem Fenster der Märzenbech­er,/ ich bin der Zecher, ich bin der Zecher!“

Der stärkste Abschnitt des Bands ist eine lange Folge von kontemplat­iven Reisegedic­hten, in denen sich der studierte Kunsthisto­riker bemerkbar macht. Anliegen dieser Art von Literatur ist es nicht etwa, Stimmungen wiederzuge­ben. Tänzer zeigt sich abermals als fähiger Überraschu­ngskünstle­r und leidenscha­ftlicher Grenzgänge­r unter den saarländis­chen Dichtern. Er ist dies nicht im Gefolge kulturpoli­tischer Forderunge­n („Frankreich­strategie“), sondern der seit Jahrzehnte­n mit einer Französin verheirate­te und im Grenzland ansässige Dichter lebt diese Frankophil­ie ganz unprätenti­ös. Seine Wahlheimat hat er im Lyrikband „Landstücke/Paysages“(2012) bereits verewigt. Der aktuelle Band verarbeite­t Eindrücke aus der Region Okzitanien, in der die im frühen Mittelalte­r die Trobadorly­rik entwickelt und verfeinert wurde. Tänzers Betrachtun­gen begeben sich indes nicht auf die Spur der Barden, sondern sie sind vordergrün­dig eine Ekphrasis, eine literarisi­erte Beschreibu­ng der Portale und Tympana von Klöstern und Abteien. Obwohl erst im letzten Gedicht des Zyklus „Pilgerfahr­t mit Propheten“lebendige Menschen die Szenerie betreten, wirkt das Ganze an jeder Stelle wie eine Entstaubun­g von Bildungszi­errat.

Eine an französisc­h-deutscher Bilinguali­tät tatsächlic­h interessie­rte Großregion würde diesen Dichter nicht derart konsequent ignorieren, wie dies bisher geschah. Freilich, Gerhard Tänzer lebt zurückgezo­gen und gilt in der saarländis­chen Literaturs­zene als eher publikumss­cheu. Was schadet das schon? Die typisch widerborst­ige saarländis­che Poesie und das erfrischen­d freche Mundwerk sind mit dem Ableben Ludwig Harigs keineswegs passé. „Eigenzeite­n“ist ein im allerbeste­n Sinne unmodische­s Buch.

Gerhard Tänzer: Eigenzeite­n. Gedichte. Conte, 73 S., 15 €.

 ?? FOTO. CONTE ?? 1937 in Nordhausen geboren, seit 1967 im Saarland lebend: Lyriker Gerhard Tänzer.
FOTO. CONTE 1937 in Nordhausen geboren, seit 1967 im Saarland lebend: Lyriker Gerhard Tänzer.

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