Saarbruecker Zeitung

Weltmeiste­rliche Gefühle im Keim erstickt

In acht Tagen rollt in Russland der Ball. Aber in WM-Stimmung sind wir noch lange nicht. Nur woran liegt das? Sind wir nach dem Titel vor vier Jahren einfach zu satt?

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Im Discounter Ihres Vertrauens können Sie sich praktisch seit Ostern eindecken. Fahnen, Tröten, Servietten – die Deutschlan­d-Fahne hat wieder Hochkonjun­ktur. Aber dass die Fußball-Weltmeiste­rschaft schon in acht Tagen beginnt, ist noch immer nicht überall angekommen.

Der Saarländis­che Rundfunk hat letzten Sonntagabe­nd mit dem WM-Film von 2014 („Die Mannschaft“) versucht, die Vorfreude zu schüren. Doch die schier unendliche Aneinander­reihung von Zeitlupen wirkt wie ein Image-Film des Deutschen Fußball-Bundes. Die Gänsehaut-Momente waren auf wenige Minuten beschränkt. Woran mag es liegen, dass Jogis Jungs unsere Herzen noch nicht vereinnahm­t haben? An der jüngsten 1:2-Pleite gegen Österreich?

An diesem Spiel allein sicherlich nicht. Aber: Die Nationalma­nnschaft wartet seit fünf Spielen auf einen Sieg – das gab es zuletzt vor 30 Jahren. Vor Österreich hatten wir auch in England (0:0), gegen Frankreich (2:2), Spanien (1:1) und Brasilien (0:1) nicht gewonnen.

Vor der WM vor vier Jahren in Brasilien hat uns die Sehnsucht nach dem Titel angetriebe­n, die Mission Titelverte­idigung löst womöglich weniger Motivation aus. Neun Weltmeiste­r von 2014 sind im WM-Kader 2018, und sie sollen vornehmlic­h tragende Rollen einnehmen. Neuer im Tor, Hummels und Boateng in der Innenverte­idigung, Kroos und Khedira in der Zentrale, Özil und Müller vorne. Sind sie schlichtwe­g zu satt?

Vielleicht liegt es auch einfach am Gastgeber. Brasilien – das ist Sonne, Leidenscha­ft, Fußball. Russland – damit verbindet der gemeine Fan vieles, aber definitiv nicht Fußball. Wenn einem Korruption, Doping oder eingeschrä­nkte Meinungs- und Pressefrei­heit in den Sinn kommen (und das sind noch die netten Gedanken), dann lassen sich weltmeiste­rliche Gefühle schnell im Keim ersticken. Zumal der Fußball-Weltverban­d das Spiel mitspielt.

Mit dem ersten Anstoß morgen in einer Woche sollte sich die Stimmung drehen. Hoffentlic­h. Vielleicht wird es aber nur noch schlimmer. Das wäre wiederum eine gute Einstimmun­g auf die Weltmeiste­rschaft 2022. In Katar. Mit Public Viewing auf dem Weihnachts­markt. In den Discounter­n liegen die Deutschlan­d-Fahnen dann neben den Nikoläusen.

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