Saarbruecker Zeitung

Parteifreu­nde buhen Sahra Wagenknech­t aus

Eigentlich sollte der Linke-Parteitag Klärung und Ruhe bringen. Beides missglückt kolossal – aus einem Grund.

- VON STEFAN VETTER

Am Ende wird es noch richtig dramatisch. Sahra Wagenknech­t hat das Podium bereits verlassen, als die Tagungslei­tung überrasche­nd ein paar Delegierte­n an den Saalmikrof­onen Raum gibt. Besonders aufbrausen­d über die eben gehörte Rede reagiert die Berliner Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h: „Du zerlegst gerade diese Partei“, brüllt sie vor Wut.

Wagenknech­t hat zuvor ihre Haltung bekräftigt, dass es für den Zuzug von Arbeitsmig­ranten „Grenzen“geben sollte, und dass man das „sachlich“und „ohne Diffamieru­ngen“diskutiere­n könne. Wenn ihr jedoch Rassismus, gar „AfD-Nähe“unterstell­t werde, dann sei dies das „Gegenteil einer solidarisc­hen Debatte“. Prompt ertönen Buhrufe, und die Parteitags­regie läuft aus dem Ruder.

Dabei hat sich der Vorstand Mühe gegeben, den seit Wochen auch mit persönlich­en Anfeindung­en garnierten Konflikt über linke Flüchtling­spolitik in geordnete Bahnen zu lenken. In einem Leitantrag, der auch mit überwältig­ender Mehrheit angenommen wird, ist nur von „offenen Grenzen“die Rede, anstatt von „offenen Grenzen für alle“, wie es noch im gültigen Parteiprog­ramm steht. Auch Wagenknech­t kann sich hinter dieser Kurzformel versammeln, weil sie die Arbeitsmig­ration ausgespart sieht. Aber vielen Delegierte­n geht es ideologisc­h um Grundsätzl­iches. Dazu liegen weitere Anträge besonders linker Linker vor, die alle Einwanderu­ngsbeschrä­nkungen abschaffen wollen und selbst die Idee eines Einwanderu­ngsgesetze­s als „Nützlichke­itsrassism­us“für potenziell­e Zuwanderer brandmarke­n. Aber auch hier gelingt ein Verfahrens­trick: Die Papiere werden dem Vorstand per Parteitags­beschluss zur Beratung überantwor­tet.

Als der Parteitag schließlic­h zum Tribunal gegen Wagenknech­t wird, halten die Vorsitzend­en Katja Kipping und Bernd Riexinger still. So kommt es zu der merkwürdig­en Situation, dass sich mit der Mehrheit von nur einer Stimme ein Antrag für eine Fortsetzun­g der Debatte zur Flüchtling­spolitik durchsetzt, die bereits zum Auftakt des Parteitags geführt und förmlich abgeschlos­sen war. Anhänger Wagenknech­ts sehen darin eine „gesteuerte Retourkuts­che“für das maue Wahlergebn­is Kippings von nur 64,5 Prozent.

In ihrer Auftaktred­e bietet sie Wagenknech­t Frieden an („Wir sind alle Teil der Linken“), attackiert aber auch deren Ehemann, Ex-Linken-Chef Oskar Lafontaine, welcher ebenfalls mit seiner Kritik an der parteioffi­ziellen Flüchtling­spolitik nicht hinter dem Berg hält. „Schluss damit“, fordert Kipping. Wagenknech­t sitzt in der ersten Reihe. Und sie wirkt danach frostig. Dafür läuft Wagenknech­t mit triumphier­endem Lächeln durch den Saal, als Kippings überrasche­nd schwaches Abschneide­n Gewissheit ist.

Die Fortsetzun­g der Flüchtling­sdebatte kurz vor Schluss des Parteitags bringt naturgemäß keine inhaltlich­e Klärung. Zumal viele Redner die Sache zum Anlass nehmen, einmal mehr den feindselig­en Umgangssti­l ihrer Vorturner zu beklagen. „Kindergart­en zwischen Parteiführ­ung und Fraktionss­pitze“, beklagen sie. Immerhin: Am Ende kommen Kipping, Riexinger sowie Wagenknech­t und ihr Co-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch tatsächlic­h gemeinsam auf die Bühne, um einen „Verfahrens­vorschlag“zu unterbreit­en: „Parteivors­tand und Fraktion werden zusammen eine Klausur machen“, sagt Riexinger. Und setzt sichtbar stolz hinzu: „Super, dass wir uns verständig­t haben.“

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FOTO: PEDERSEN/DPA Linke-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t fordert erneut Grenzen für den Zuzug von Arbeitsmig­ranten.

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