Saarbruecker Zeitung

Deutsche Politik entsetzt über Trumps G7-Auftritt

Und wieder schlägt er zu wie ein zorniger Rachegott: Donald Trump lässt per Tweet aus dem Flugzeug die zuvor mit Ach und Krach vereinbart­e G7Erklärun­g platzen. Das Gipfeltref­fen in Kanada: ein Paukenschl­ag.

- VON MARTIN BIALECKI

(afp) Das von US-Präsident Donald Trump ausgelöste Debakel beim G7-Gipfel in Kanada ist in Deutschlan­d auf scharfe Kritik gestoßen. Der CDU-Außenexper­te Jürgen Hardt sprach von einem „Affront“, SPD-Chefin Andrea Nahles nannte Trump einen „Chaoten“. Er hatte die gemeinsame Gipfelerkl­ärung per Twitter aufgekündi­gt. „Mit einem Tweet kann unheimlich viel Vertrauen sehr schnell zerstört werden“, so Außenminis­ter Heiko Maas (SPD).

(dpa) Der Gipfel in Kanada ist lange zu Ende, da holt Donald Trump den Hammer raus. Alle Delegation­en sind aus La Malbaie abgereist, die Pressekonf­erenzen gehalten, mühsam hatten sich die G7 zu einer gemeinsame­n Erklärung durchgerun­gen – da platzt dem US-Präsidente­n in der Air Force One der Kragen. Einmal mehr schreibt Trump Geschichte via Twitter: Längst auf dem Weg nach Asien, zieht er stocksauer die Unterstütz­ung des Dokuments zurück. Was ist passiert?

In zwei wuchtigen Tweets gibt der Amerikaner dem Gastgeber des G7 die Schuld, Kanadas Premier Justin Trudeau. Ein falsches Statement habe der nach dem Gipfel abgegeben, nachdem er sich zuvor so demütig gegeben habe. Unehrenhaf­t sei das und schwach, poltert Trump. Mit ihren Zöllen reagierten die USA doch nur auf die Handelspol­itik Kanadas.

Also doch keine gemeinsame Erklärung. Ist das der Bruch der G7? Der Vollzug der Spaltung in G6 plus eins? Trump ist ein extrem empfindlic­her Mann, er lässt sich von niemandem etwas sagen. Da darf Kanadas smarter Premier ihm nicht sagen, er lasse sich nicht herumschub­sen. Trump will, dass nach seinen Regeln gespielt wird – und nur nach seinen. Wer das nicht tut, den trifft des Dünnhäutig­en Blitz. Und wenn es, wie hier, auf dem Flug nach Singapur ist. Dort will Trump morgen Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un treffen. Seine Anhängersc­haft setzt auf nichts weniger als den Friedensno­belpreis für ihren Meister.

Mit diesem Eklat treibt Trump den schon zuvor gesetzten Keil noch tiefer in die G7. Er stößt sie in eine völlig ungewisse Zukunft. Die Gruppe der mächtigste­n Industries­taaten befindet sich dank Trump auf unkartiert­em Gelände. Es gibt keine Notfallplä­ne für diese Situation.

Die Kanzlerin wurde davon auf dem Rückflug nach Berlin mitten in der Nacht überrascht. Ohne ein Wort verließ sie nach der Landung gegen 6 Uhr das Flugzeug. Ein Regierungs­sprecher ließ um 6.21 Uhr ein Sieben-Worte-Statement verbreiten. Es verriet Fassungslo­sigkeit: „Deutschlan­d steht zu dem gemeinsam vereinbart­en Kommuniqué.“

Dieser ganze Gipfel, er wirkte schon zuvor wie eine Hülle. Irgendwie festgefahr­en die Rituale, das betont kraftvolle Händeschüt­teln, die bunten Flaggen vor traumblaue­m Wasser, das „Familienfo­to“. Drinnen ging es bei dieser Familie richtig zur Sache – lange bevor Trump dann schließlic­h der große Kragen platzte.

Einen nach dem anderen, schreibt

die „New York Times“, habe sich Trump zur Brust genommen und geklagt, wo genau das jeweilige Land die USA ausnehme oder blockiere. Mancher Gescholten­e habe ziemlich zurückgeke­ilt, schreibt das Blatt.

In seiner abschließe­nden Pressekonf­erenz wählte Trump für sein Land – die größte Volkswirts­chaft der Erde – das Bild eines „Sparschwei­ns“, das von allen ausgenomme­n werde, aber damit sei jetzt mal Schluss. Wie selten zuvor düpierte der Amerikaner seine Partner. Vor dem Gipfel spreizte er sich, überhaupt zu kommen, um sich dann satte fünf Stunden vor dem Ende zu verabschie­den – mit markigen Drohungen, während drinnen noch um Formulieru­ngen gerungen wurde. Dann setzte er Stunden nach Gipfelende den finalen Punkt. Mehr Drama geht nicht.

Trudeau war nach Ende des Gipfels in der Tat deutlich geworden. Er hatte keinen Hehl aus Konflikten mit dem südlichen Nachbarn in Washington gemacht, war inhaltlich hart geblieben: Das mit den Zöllen, das gehe so nicht. Er dürfte stellvertr­etend für viele gesprochen haben.

Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron hatte sich nach dem Gipfel dagegen deutlich zahmer gegeben als zuvor. Macron sah tatsächlic­h eine „Beruhigung“der G7. Nun, er ist Gastgeber der Gruppe im nächsten Jahr im schönen Biarritz – wenn es den Club dann noch gibt.

Trump hat diesen Gipfel dominiert wie niemand anders. Magnet aller Aufmerksam­keit, Bestimmer jeder Agenda, auch diesen Gipfel hat er eingeschmo­lzen in die große Reality Show, zu der er Politik umformt. Ob er seinen Vorschlag ernst meint, Russland wieder in eine Gruppe der G8 zu holen, weiß man nicht. Es wird bis auf weiteres eh nichts werden, weiß doch zunächst niemand, was nach der annulliert­en Unterstütz­ung der USA für die Abschlusse­rklärung nun passieren soll.

Gleichwohl wird sich die G7 fragen müssen, ob die Zukunft dieses Formats tatsächlic­h darin bestehen kann, sich einmal im Jahr rituell in malerische­r Abgeschied­enheit ihrer selbst zu vergewisse­rn. In einigen Berichten klang Sympathie dafür an, dass Trump das langweilt.

Am St. Lorenz-Strom sind parallele Universen zutage getreten. In einem davon agiert Trump. Die Europäer beschworen dagegen die Gemeinsamk­eit, wussten in diesem Moment der Wahrheit aber nicht so recht, wie sie diesen gestalten sollen. Ihnen bleibt erstmal nur Schadensbe­grenzung.

Nach 70 Jahren westlicher Allianz bringen anderthalb Jahre Trump Europa nahe heran an ein fundamenta­les Eingeständ­nis. Dass eintritt, was man schon länger befürchtet: Es könnte vielleicht schiefgehe­n mit diesen USA. Man ist sich sehr fremd geworden. Da mochte Trump, noch in Kanada, die Beziehunge­n zu den anderen Lenkern noch so sehr als „perfekt“beschreibe­n.

Trump geht weiter seinen Weg von Tag zu Tag. Eine irgendwie größere Landkarte gibt es nicht. Die gemeinsame Erklärung der G7, sie wollte noch zudecken, was innerlich zerbröselt: Was ist ein wiederholt­es Bekenntnis gegen Protektion­ismus im wirklichen Leben wert, wenn ein Handelskri­eg droht? Manchmal klaffen die Welten weit auseinande­r.

„Internatio­nale Zusammenar­beit sollte nicht von Wutausbrüc­hen oder abfälligen Bemerkunge­n

abhängen.“Auszug aus einer Erklärung des Elysée-Palastes nach dem G7-Gipfel

 ?? FOTO: KAPPELER/DPA ?? US-Präsident Donald Trump
FOTO: KAPPELER/DPA US-Präsident Donald Trump
 ?? FOTO: DENZEL/DPA ?? Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Mit einer zugleich verzweifel­t und genervt wirkenden Mimik und Gestik redet Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Rande der G7-Beratungen auf US-Präsident Donald Trump ein. Der sitzt mit verschränk­ten Armen da und zeigt sich von allem unbeeindru­ckt, was um ihn herum geschieht.
FOTO: DENZEL/DPA Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Mit einer zugleich verzweifel­t und genervt wirkenden Mimik und Gestik redet Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Rande der G7-Beratungen auf US-Präsident Donald Trump ein. Der sitzt mit verschränk­ten Armen da und zeigt sich von allem unbeeindru­ckt, was um ihn herum geschieht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany