Der Gipfel der Unberechenbaren
Donald Trump trifft erstmals auf Kim Jong Un: Zeigt der US-Präsident in Singapur mehr Fingerspitzengefühl als in Kanada? Oder droht der nächste Eklat?
(dpa) Die Bühne steht: In der schwülen Hitze Singapurs wollen Donald Trump und Kim Jong Un eines der kniffligsten Probleme der Weltpolitik lösen. Die Attribute, die Medien in aller Welt für den morgigen Gipfel fanden, reichen von „historisch“bis hin zu „politischer Wahnsinn“. Und der Ausgang ist völlig offen. Das noble Hotel Capella in Singapur kann zum Symbol für Frieden und einen Neuanfang nach über 65 Jahren Kriegszustand auf der koreanischen Halbinsel werden. Wenn es schiefgeht, droht eine Eskalation, bis hin zum schlimmsten Szenario – dem Einsatz militärischer Mittel mit Blutvergießen, so US-Verteidigungsminister James Mattis.
Mit Kim (34 oder 35 Jahre alt) und Trump (feiert am 14. Juni seinen 72 Geburtstag) treffen zwei Unberechenbare aufeinander. Über Kims Verhandlungsgebaren ist im Westen wenig bekannt. Über den US-Präsidenten weiß man: Er macht seine Androhung, einfach aufzustehen und zu gehen, im Zweifel wahr. Trump geht es vor allem um starke Bilder. 2000 Journalisten in Singapur sind ein Garant dafür. „Es wird am Ende etwas Gesichtswahrendes herauskommen“, sagt Professor Robert Kelly von der Uni Pusan in Südkorea. „Und das wird Trump gnadenlos für sich ausschlachten.“
Erstmals überhaupt seit der Gründung Nordkoreas 1948 kommt ein amtierender US-Präsident mit dem politischen Führer des abgeschotteten, stramm kommunistisch regierten Landes persönlich zusammen. Dieser Präsident ist ein Bauchpolitiker. Er werde nur eine Minute brauchen, um zu wissen, ob das Treffen von Erfolg gekrönt sein könne, tönte Trump.
Der Einfluss Chinas und Russlands auf Nordkorea, der Atomkonflikt, die Menschenrechte, Zwangsarbeiter und verschleppte Japaner, die Frage einer koreanischen Wiedervereinigung: Die Liste komplexer Probleme ist lang. Doch Trumps Welt kann ganz einfach sein. „Ich denke, ich werde ganz schnell wissen, ob etwas Gutes geschehen wird.“
Trotzdem: Die USA sind einem Frieden mit den Stalinisten aus Pjöngjang so nahe, wie mindestens seit 1994 nicht mehr. Damals hatte die Regierung von Ex-Präsident Bill Clinton die Vorarbeit geleistet, Vereinbarungen wurden unterschrieben. Nach der Wahl des Republikaners George W. Bush und für damalige Verhältnisse martialischer Rhetorik auf beiden Seiten ging alles wieder in die Brüche. Auch, weil von Clinton übergebene Geheimdienstinformationen einfach liegengelassen worden sein sollen. Einer der Berater des Präsidenten hieß damals John Bolton. Der ist heute Nationaler Sicherheitsberater – und als Teil der Administration selbst an einem Erfolg des Gipfels interessiert. Das könnte die Ausgangslage für Trump im Vergleich zu Clinton verbessern.
Kim Jong Un kann sich jetzt schon an einem Etappenziel angekommen wähnen: Der bis dato Isolierte aus der „Achse des Bösen“– Ex-Präsident George W. Bush prägte 2002 den Begriff und meinte damit den Irak und Iran sowie Nordkorea – führt direkte Gespräche mit dem Präsidenten der letzten verbliebenen Supermacht. Aus einem jungen, vielfach belächelten Pummelchen mit eigenartigem Haarschnitt, das 2011 die Nachfolge des Vaters Kim Jong Il angetreten hatte, wurde ein respektierter Stratege. Seinen Imagegewinn kann Kim sehr gut im eigenen Land verkaufen, wo sein Volk unter den Sanktionen der Weltgemeinschaft leidet. Glaubt man Wirtschaftswissenschaftlern, geht es Nordkorea nach der Hungersnot 1999 inzwischen etwas besser. Die Atomwaffen gelten als Absicherung. Für Kim bietet der Gipfel die große Chance des Landes, sich aus seiner Isolation zu lösen. Trump verspricht gar eine rosige Zukunft. Kim und seiner Familie solle es gut gehen. „Er wird reich sein“, sagte Trump. Der Gipfel sei eine „einmalige Chance“für den nordkoreanischen Machthaber. „Diese Gelegenheit wird er nicht noch einmal haben“, warnte Trump.