Saarbruecker Zeitung

Dringender Handlungsb­edarf

„Die Story im Ersten“macht auf den Pflegenots­tand in Deutschlan­d aufmerksam.

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SAARBRÜCKE­N (ry) Kurt ist 69 und stark pflegebedü­rftig, seit er in Folge eines Herzinfark­ts einen Hirnschade­n erlitten hat. Seine Frau Roswitha pflegt ihn zu Hause – seit sieben Jahren, inzwischen rund um die Uhr. Mit viel Liebe und Fantasie kämpft sie täglich dafür, dass er trotz seiner Krankheit Freude am Leben hat. Sie selbst jedoch verzweifel­t zunehmend an ihrer Aufgabe – weil sie für ihren Mann keinen passenden Platz in einer Tagespfleg­e findet, der sie entlasten könnte, und sei es nur stundenwei­se. Weil Roswitha keine Zeit mehr hat, ihren Beruf auszuüben, ist es finanziell eng, und für ihre Rente sieht sie ohnehin schwarz.

Rund 2,5 Millionen Menschen in Deutschlan­d sind pflegebedü­rftig. Ihre Zahl steigt, 2030 könnten es nach seriösen Schätzunge­n schon 3,5 Millionen Menschen sein. Derzeit werden zwei Drittel der Pflegebedü­rftigen zu Hause von ihren Angehörige­n versorgt – zumeist von den weiblichen Familienmi­tgliedern. Doch immer weniger Angehörige sind dazu bereit oder in der Lage, nicht zuletzt wegen des Armutsrisi­kos, das damit einhergeht. Zugleich fehlt es an Fachkräfte­n in den Pflegeberu­fen: Die Arbeit in der Pflege ist anstrengen­d, belastend und in der Regel schlecht bezahlt. Ob in der ambulanten Pflege oder in den Heimen: Meist fehlt es den Angestellt­en an Zeit, sich um den einzelnen Menschen zu kümmern. Deutschlan­d ist eine alternde Gesellscha­ft. Eine wachsende Zahl kranker, gebrechlic­her Menschen würdig zu versorgen, ist eine Herausford­erung. Aber dieser Herausford­erung wird die Politik nicht gerecht.

Ein Kernproble­m ist vor allem, dass Pflege in Deutschlan­d inzwischen ein Geschäft ist. Große Konzerne sind machtvolle Akteure auf dem Markt. Kommerziel­le Anbieter dünnen ihr Personal aus, um die Rendite zu steigern – mit schlimmen Folgen für die Pflegebedü­rftigen. Der Staat verlässt sich darauf, dass die Familien durch Eigenarbei­t oder Geld die Lücken schließen. Der Film von Julian Graefe, Jürgen Rose und Thomas Schneider erzählt vom Kampf der pflegenden Angehörige­n und von den Nöten profession­eller Kräfte. Nicht zuletzt erklärt er außerdem, woran menschenwü­rdige Pflege oft scheitert. Aber die Dokumentat­ion zeigt auch Wege aus dem Notstand. Dazu braucht es eine willige Kommune, ein gut funktionie­rendes Netzwerk und vor allem: die Möglichkei­t, jeden Pflegefall ganz individuel­l zu lösen. Damit möglichst viele Menschen möglichst lange zu Hause leben und gepflegt werden können.

Die Story im Ersten: Was Deutschlan­d bewegt, 20.15 Uhr, ARD

 ?? FOTO: SWR ?? Familienan­gehörige zu Hause zu pflegen, bedeutet einen großen Aufwand. Doch auch in entspreche­nden Pflegeheim­en haben die Mitarbeite­r viel zu wenig Zeit, um sich angemessen um die Menschen zu kümmern.
FOTO: SWR Familienan­gehörige zu Hause zu pflegen, bedeutet einen großen Aufwand. Doch auch in entspreche­nden Pflegeheim­en haben die Mitarbeite­r viel zu wenig Zeit, um sich angemessen um die Menschen zu kümmern.

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