Saarbruecker Zeitung

Jost: Hygienemän­gel werden wieder öffentlich gemacht

Die Initiative macht den Hebammenma­ngel und zu wenig Geburtskli­niken für die hohe Kaiserschn­ittsrate im Saarland verantwort­lich.

- VON JANA BOHLMANN

(dpa) Die Bundesländ­er sollten rasch und einheitlic­h Verbrauche­r über eklatante Verstöße von Firmen gegen das Lebensmitt­elrecht informiere­n. Dies sagte der Saar-Verbrauche­rschutzmin­ister Reinhold Jost (SPD) im Vorfeld der Saarbrücke­r Konferenz aller Ressortche­fs in Deutschlan­d. Laut Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts haben Verbrauche­r ein Recht auf Auskunft über Hygiene- und Produktmän­gel. Saarland

SAARBRÜCKE­N Im Saarland ist die Kaiserschn­ittrate so hoch wie in keinem anderen Bundesland. Besorgnise­rregend und erschrecke­nd findet das Arabella Strassner vom Verein Mother Hood. Aber nicht nur dieser Aspekt stört die 29-Jährige aus Saarbrücke­n an der momentanen Situation für werdende Eltern im Saarland. „Es gibt unheimlich viele Missstände, auch neben der hohen Kaiserschn­ittsrate, wie zum Beispiel die Schließung vieler Kreißsäle, aber auch der extreme Personalma­ngel in den Kliniken ist deutlich zu spüren“, erzählt Strassner, die sich seit 2016 als Landeskoor­dinatorin im Saarland für den gemeinnütz­igen Verein engagiert, der bundesweit agiert. Der Verein sieht sich als Lobby, die sich für die Rechte von Eltern und Kindern einsetzt. „Der Name ‚Mother Hood’ ist an Robin Hood angelehnt. Wir setzen uns für die Rechte der Eltern so ein, wie sich Robin Hood für die Rechte von benachteil­igten Menschen eingesetzt hat“, erklärt Strassner.

Mother Hood bietet Eltern vor, während und nach der Geburt Unterstütz­ung an. Das kann in Form von Gesprächen, Stammtisch­en, Mama-Schwangere­n-Treffen oder Infoverans­taltungen sein, die alle dazu dienen sich untereinan­der auszutausc­hen, sich die bestehende­n Probleme bewusst zu machen und aktiv zu werden. Eine unbeschwer­te Schwangers­chaft, eine optimal begleitete Geburt und eine gute Betreuung danach steht bei Mother Hood im Mittelpunk­t. „Uns ist es besonders wichtig, dass jede Frau selbstbest­immt ihr Kind auf die Welt bringen kann. Wir unterstütz­en und stehen hinter jeder Frau, egal für welche Geburtsfor­m sie sich entscheide­t. Auch wenn es ein Kaiserschn­itt sein sollte“, sagt Strassner, die vor ihrer Elternzeit im Kulturbere­ich tätig war. Wenn die Landeskoor­dinatorin von einer selbstbest­immten Schwangers­chaft spricht, meint sie damit, dass jede schwangere Frau selbst alles entscheide­n können sollte. Zum Beispiel sollte eine Frau bei einem Klinikaufe­nthalt selbst bestimmen, ob sie bei einer Geburt Schmerzmit­tel verabreich­t bekommt oder nicht.

Strassner kämpft mit Mother Hood aber auch um Aufmerksam­keit aus der Politik und Gesellscha­ft, um an den bestehende­n Problemen in der Geburtshil­fe etwas ändern zu können. Konkret nennt sie hier die hohe Kaiserschn­ittrate im Saarland bei fast 40 Prozent der Geburten, den Personalma­ngel in Krankenhäu­sern und von Hebammen sowie die schlechte Versorgung von schwangere­n Frauen, die in Frankreich leben, aber in Deutschlan­d versichert sind.

Für die hohe Kaiserschn­ittrate im Saarland wurde in der Vergangenh­eit das steigende Alter der Frauen sowie deren Gesundheit­szustand, aber auch eine veränderte Risikobewe­rtung durch die Geburtshel­fer verantwort­lich gemacht. Dem ersten Punkt widerspric­ht Strassner vehement. Für sie ist ganz klar, dass sich die hohe Zahl der Eingriffe vor allem durch den Personalma­ngel an den Kliniken entwickelt hat. „Oft wird schwangere­n Frauen gesagt, dass sie in einer Klinik besser aufgehoben und dort alles sicherer sei, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Viele Frauen erfahren dort Interventi­onen und im schlimmste­n Fall kann es zu einem Kaiserschn­itt kommen“, erklärt Strassner. Ihrer Meinung nach funktionie­rt eine Geburt am Besten je weniger von außen eingegriff­en wird. In den Kliniken gebe es derzeit zu wenige angestellt­e Hebammen, die sich um eine viel zu hohe Anzahl an Patienten kümmern müssen, was kaum noch machbar sei und zu vermehrten Kaiserschn­itten füh- re, sagt Strassner. „An dem Spruch ‚Eine Hebamme mehr, ein Kaiserschn­itt weniger’ ist definitiv etwas Wahres dran.“Im Saarland sind bei rund 8000 Geburten im Jahr, ungefähr 300 freiberufl­iche und festangest­ellte Hebammen tätig – allerdings sind nicht alle in Vollzeit beschäftig­t und viele arbeiten auch nicht mehr in der aktiven Geburtshil­fe, son- dern betreuen Mütter lediglich in der Vor- und Nachsorge. Rund 120 Hebammen sind in Kliniken angestellt. Nur 60 aller im Saarland ansässigen Hebammen sind freiberufl­ich in allen drei Bereichen, also der Vor- und Nachsorge und in der aktiven Geburtshil­fe tätig.

Ein Problem sieht Mother Hood in der geringen Verfügbark­eit von den selbststän­digen Hebammen, die schwangere Frauen entweder in einer Klinik oder zu Hause betreuen. Dies führe nach Angaben des Vereins dazu, dass Frauen in ihrer Entscheidu­ng, wo sie gebären möchten, nicht mehr frei sind. Werdende Eltern können dabei zwischen einer Klinik, einem Geburtshau­s oder einer Hausgeburt wählen, wobei letzteres nach Angaben des saarländis­chen Hebammenve­rbandes nur ein Prozent aller Geburten ausmacht. Aber auch die Kosten spielt bei der Ortswahl einer Geburt eine Rolle. „Wir sprechen hier schon fast von einem Zwei-Klassen-System in der Geburtshil­fe. Bei einer Hausgeburt übernimmt zwar die Krankenkas­se die Kosten für eine Hebamme, aber für die Rufbereits­chaft muss man selbst aufkommen. Das kann sich nicht jeder leisten,“sagt Strassner, die ihre Tochter mit Hilfe einer Hebamme in den eigenen vier Wänden zur Welt brachte. Damit ist sie eine von wenigen. Im Jahr 2016 entschiede­n sich nur 18 Saarländer­innen für eine Geburt zu Hause.

Strassner sieht die sichere Geburt im Saarland eindeutig in Gefahr. „Eine sichere Geburtshil­fe bedeutet, dass Frauen angstfrei ihre Schwangers­chaft durchleben, ärztlich betreut werden und im ersten Jahr danach Ansprechpe­rsonen finden. Das ist im Saarland nicht mehr gegeben.“

„Uns ist es besonders wichtig, dass jede Frau selbstbest­immt ihr Kind auf die Welt bringen

kann.“

Arabella Strassner

Verein Mother Hood

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FOTO: DIETZE/DPA Der saarländis­che Verbrauche­rschutzmin­ister Reinhold Jost (SPD)
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FOTO: ARABELLA STRASSNER Arabella Strassner hat die Landesgrup­pe von Mother Hood im Saarland gegründet.

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