Saarbruecker Zeitung

Berlin und Wien im Spionage-Streit

Die Opec, die OSZE, die UN, Firmen, Botschafte­n und Behörden – diese Institutio­nen sollen abgehört worden sein. In Wien sind der Kanzler und der Präsident irritiert.

- VON MATTHIAS RÖDER

(afp) Spitzenpol­itiker in Wien fordern von Deutschlan­d volle Aufklärung über Spionageak­tivitäten des Bundesnach­richtendie­nsts. Anlass sind Berichte über systematis­che Abhöraktio­nen in Österreich.

(dpa) Die österreich­ische Staats- und Regierungs­spitze verlangt von Deutschlan­d umfassende Aufklärung zu den Enthüllung­en, dass der Bundesnach­richtendie­nst (BND) über viele Jahre systematis­ch in der Alpenrepub­lik Behörden und Firmen abgehört haben soll. „Das Ausmaß der Überwachun­g war ein Enormes“, sagte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz am Samstag.

Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen sagte: „Ausspähung unter befreundet­en Staaten ist nicht nur unüblich und unerwünsch­t, sondern ist nicht akzeptabel.“Beide äußerten sich auf einer kurzfristi­g angesetzte­n gemeinsame­n Pressekonf­erenz. Vor der BND-Affäre hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) im Oktober 2013 mit Blick auf die NSA-Spionage in Deutschlan­d gesagt: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.“

Das österreich­ische Nachrichte­nmagazin „Profil“und die Wiener Zeitung „Der Standard“berichtete­n am Samstag, dass der BND zwischen 1999 und 2006 systematis­ch die Telekommun­ikation zentraler Einrichtun­gen in Österreich überwacht habe. Auf Grundlage BND-interner Dateien werde klar, dass in diesem Zeitraum insgesamt 2000 Telefon-, Fax- und Mobilansch­lüsse sowie E-Mail-Adressen im Visier des deutschen Nachrichte­ndienstes gewesen seien. Die Erkenntnis­se seien wahrschein­lich zwar im Grundsatz nicht neu, aber die Details irritieren­d, erklärten die Politiker.

Kurz sagte, erste Verdachtsm­omente habe es bereits 2014 gegeben. 2016 habe Deutschlan­d daraufhin gesetzlich geregelt, dass Spionage unter Freunden eingestell­t werden müsse. Österreich wolle jetzt erfahren, wer überwacht wurde und wann die Überwachun­g beendet wurde. Und es müsse sicher sein, „dass sie beendet wurde“. Falls Daten gespeicher­t worden seien, müssten sie gelöscht werden. Wenn es neue Informatio­nen gebe, werde möglicherw­eise die Staatsanwa­ltschaft in Österreich aktiv.

„Profil“schrieb, der BND habe sich ab 1999 vor allem für diplomatis­che Vertretung­en und internatio­nale Organisati­onen in Wien interessie­rt. Die Datei umfasse mehr als 200 Fernmeldea­nschlüsse in 75 Botschafte­n, darunter die der Länder USA, Iran, Irak, Pakistan, Libyen, Afghanista­n, Israel und Nordkorea. Daneben gebe es abgehörte Nummern beim Ölkartell Opec, zwei Dutzend Nummern bei der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) und 180 bei der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde IAEA. Bei anderen Organisati­onen der UN seien 128 Anschlüsse verzeichne­t, so „Profil“. Außerdem seien Dutzende Unternehme­n, darunter Waffenprod­uzenten

„Das Ausmaß der Überwachun­g war ein Enormes.“

Sebastian Kurz

Österreich­ischer Bundeskanz­ler

und andere wichtige Exporteure, im Visier des BND gewesen.

Das Parlamenta­rische Kontrollgr­emium der Geheimdien­ste (PKG) des Bundestags ist bereits aktiv geworden. „Wir prüfen, ob die Vorwürfe neu sind oder ob sie Teil der schon 2015 bekannt gewordenen Vorwürfe sind“, sagte der PKG-Vorsitzend­e Armin Schuster (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe. Schuster kündigte erste Erkenntnis­se bis Ende der kommenden Woche an.

Der CDU-Politiker bekräftigt­e, dass es „oft weder verhältnis­mäßig, noch in der Sache erklärbar“gewesen sei, dass der BND andere europäisch­e Staaten bespitzelt habe. Als Konsequenz habe der Bundestag in der vergangene­n Wahlperiod­e auch das BND-Gesetz geändert. Es setze „dem Dienst ganz andere Voraussetz­ungen als noch vor 2015“, sagte Schuster.

Der BND ist dem Kanzleramt unterstell­t und wird vom Parlamenta­rischen Kontrollgr­emium des Bundestage­s überwacht. Die rund 6500 Mitarbeite­r dürfen nicht im Inland tätig werden.

Wien gilt als eines der Zentren der Spionage in Europa. Grund sind die internatio­nalen Einrichtun­gen und der auch rechtlich eher großzügige Umgang mit dem Thema. Spionage ist im neutralen Österreich nicht strafbar, solange sie sich nicht gegen das Land selbst richtet.

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FOTO: HANS PUNZ/DPA Der österreich­ische Präsident Alexander van der Bellen (links) und Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) verlangen von Deutschlan­d umfassende Aufklärung zu den Spionage-Vorwürfen gegen den BND.

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