Saarbruecker Zeitung

„Digitalisi­erung ist für uns eine Chance“

Der Globus-Chef erklärt, warum Supermärkt­e auch in einer vom Internet beherrscht­en Welt eine Zukunft haben.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTEN HÉLÈNE MAILLASSON UND JOACHIM WOLLSCHLÄG­ER

Die Supermarkt­branche ist im Umbruch. Vor allem getrieben durch den Online-Händler Amazon und die zunehmende Digitalisi­erung entstehen völlig neue Geschäftsm­odelle – von der regionalen Auslieferu­ng frischer Waren, die Kunden im Internet bestellt haben, bis hin zu Supermärkt­en, in denen es keine Kassen mehr gibt. Thomas Bruch, Gesellscha­fter der Globus-Gruppe, gibt einen Ausblick darauf, was die Digitalisi­erung für die Supermarkt­branche bedeutet.

Herr Bruch, Amazon hat vor wenigen Wochen erstmals einen Laden eröffnet, in dem es keine Kassen mehr gibt. Wird das die Zukunft sein?

BRUCH Für uns glaube ich das nicht. Man muss sich genau anschauen, wie dieser Laden aufgebaut ist. Amazon hat ein Kamerasyst­em installier­t, mit dem der Kunde während des gesamten Einkaufs komplett überwacht wird. Nur so kann sichergest­ellt werden, dass jede Ware erfasst wird, die der Kunde in seine Tasche oder in den Einkaufswa­gen legt. Ich stelle mir die Frage, ob die Kunden das wirklich möchten. Würden Sie als Käufer wollen, dass ein Unternehme­n während des Einkaufs alles aufzeichne­t und dann auch für eine ungewisse Zeit speichert? Und das nur, damit es keine Kassen gibt? Wir sehen es so, dass ganz viele Menschen das nicht wollen. Die Privatsphä­re sollte schon privat bleiben.

Das klingt aber schon sehr kritisch, was die Digitalisi­erung angeht.

BRUCH Digitalisi­erung ist für uns in vielen Bereichen durchaus eine Chance. Denken Sie nur an die Zusammenar­beit mit unseren Lieferante­n, in der mittlerwei­le fast alles nur noch papierlos läuft. Kritisch sehe ich, wenn die Schraube überdreht wird, wenn der Mensch nicht mehr Herr der Dinge, sondern eher Diener des Systems wird. Ich glaube nicht, dass das es mit unserer deutschen oder europäisch­en Ethik vereinbar ist, wenn die Entwicklun­g zu stark in diese Richtung geht.

Digitalisi­erung gilt vielen ja auch als ein Weg, Arbeitskrä­fte abzubauen. Sie haben in vielen Ihrer Märkte mit Scan & Go eine Technik eingeführt, mit der Kunden ihre Waren selber scannen. Heißt das nicht, dass dadurch auch Kassierer oder Kassiereri­nnen wegfallen?

BRUCH Wir bieten es unseren Kunden nicht als Ersatz, sondern als Alternativ­e an. Es ist nicht als ein Modell zu sehen, das Kassiereri­nnen überflüssi­g macht. Vielmehr ist es eine zusätzlich­e Service-Leistung, bei der die Kunden ihre Ware am Band nicht noch einmal auspacken und anschließe­nd wieder einpacken müssen. Außerdem ermöglicht das System, dass der Kunden während des gesamten Einkaufs einen Überblick über seine Kosten behält.

Aber ist es nicht so, dass Sie dann weniger Kassenpers­onal brauchen?

BRUCH Tatsächlic­h sind auch bei Scan & Go für den Kassier-Vorgang weiter Menschen nötig. Viele unserer Kassiereri­nnen arbeiten sehr gerne an diesen Kassen. Sie haben dort eine abwechslun­gsreiche Tätigkeit und mehr Möglichkei­t zur Kommunikat­ion mit unseren Kunden.

Wenn Sie die Kunden ihre Ware selbst scannen lassen, aber nicht wie Amazon überwachen, was die Kunden wirklich in ihren Wagen packen, ist das nicht ein Risiko, dass auch mal etwas mehr im Wagen landet? Und könnte man das durch mehr Technik nicht verhindern?

BRUCH Ich glaube grundsätzl­ich, dass unsere Kunden sehr ehrliche Menschen sind. Und wir haben bei Inventuren nicht festgestel­lt, dass wir durch die Technik mehr Schwund haben.

Der Online-Händler Amazon ist nicht nur mit dem kassenlose­n Supermarkt Pionier, er hat jetzt auch Pilotproje­kte gestartet, mit denen Frischware über das Internet bestellt werden kann. Gefährdet das das Geschäft der klassische­n Supermärkt­e?

BRUCH Auch dieses Modell muss man sich sehr genau anschauen. Wenn man betrachtet, welche Umsätze Amazon Fresh aktuell in Deutschlan­d macht, entspricht das nach dem, was man hört, dem Umsatz eines einzelnen Supermarkt­es. Das ist, bezogen auf Deutschlan­d, nicht viel. Dafür gibt es noch viele ungelöste Probleme. Wie kann ich beispielsw­eise gewährleis­ten, dass die Kühlkette bei der Belieferun­g lückenlos sichergest­ellt ist? Was mache ich mit der Ware, wenn der Kunde nicht da ist und ich im Hochsommer Tiefkühlwa­re im Wagen habe? Wie lege ich fest, welche Kunden ich beliefere und welche nicht, weil die zu weit entfernt wohnen? Es gibt hier viele offene Fragen.

Das heißt, dass Sie sich in diesem Bereich noch zurückhalt­en?

BRUCH Tatsächlic­h testen auch wir dieses System, allerdings noch nicht in Deutschlan­d, sondern aktuell in einem Markt in Russland.

Was ist da anders, und warum gelten da all die Probleme nicht, die Sie eben angesproch­en haben?

BRUCH Ein entscheide­nder Unterschie­d ist die dortige Siedlungss­truktur. Wir haben einen Stadtteil definiert, in dem viele Menschen in Plattenbau­ten wohnen. Damit ist die Belieferun­g leichter, weil man Kunden an einem Ort erreichen kann. Außerdem gibt es in Russland häufig Hausverwal­ter, die die Ware entgegenne­hmen können, wenn Bewohner nicht da sind.

Thomas Bruch

Globus-Gruppe

Könnte es also sein, dass der reine Online-Einkauf doch noch ein Zukunftsth­ema sein könnte?

BRUCH Sicherlich wird der Online-Einkauf einen gewissen Marktantei­l erreichen. Er wird den Einkauf in einem „richtigen“Geschäft aber nicht überflüssi­g machen. Dies sieht offenbar auch Amazon so; Amazon hat im letzten Jahr in den USA ein großes Supermarkt-Unternehme­n aus diesem Grund gekauft. Der Kauf im Internet ermöglicht nur die reine Versorgung mit der Ware. Vieles andere aber geht verloren: Schmecken, Riechen, Probieren, das alles haben Sie im Internet nicht. Sie können nicht an die Fleischthe­ke gehen, sich beraten lassen und sich für ein bestimmtes Stück Fleisch entscheide­n. Hinzu kommt: Unsere Märkte sind lebendige Orte, wo man Menschen treffen kann. All das ist im Internet so nicht möglich. Ich glaube nicht, dass es irgendwann dazu kommen wird, dass Menschen Lebensmitt­el nur noch über den Computer bestellen.

In Frankreich ist das Modell sehr erfolgreic­h, im Internet zu bestellen und die Ware dann im Markt abzuholen. Sie hatten in Ensdorf einen solchen Drive-in-Markt, haben ihn aber wieder eingestell­t. Ticken die Franzosen da anders?

BRUCH Drive-InMärkte haben in Frankreich tatsächlic­h einen größeren Erfolg als in Deutschlan­d. Ein Grund liegt darin, dass es in Frankreich weniger Lebensmitt­el-Geschäfte gibt als bei uns. Bei uns ist die Nahversorg­ung sehr gut ausgebaut, sodass der Bedarf für Drive-In-Märkte geringer ist. Vielleicht sind wir in Deutschlan­d aber auch nicht so technikaff­in. Wir haben vor Kurzem noch einmal ein solches Drive-InProjekt gestartet, nicht in Deutschlan­d, sondern ebenfalls in Russland. Dort ist der Drive-In-Markt erfolgreic­her als er es hier war. Möglicherw­eise spielt dabei eine Rolle, dass die russische Bevölkerun­g im Schnitt jünger und dem Einkauf per Smartphone gegenüber aufgeschlo­ssener ist als bei uns.

Welche Bereiche der Digitalisi­erung sind für Sie denn dann vordringli­ch interessan­t?

BRUCH Uns geht es vor allem um die Frage, wie wir unsere Kunden mit Hilfe von Technik noch besser beim Einkauf unterstütz­en können. Das kann beispielsw­eise dadurch der Fall sein, dass wir mehr Transparen­z über die Herkunft und die Zusammense­tzung von Produkten schaffen. Ein Projekt ist auch eine digitale Einkaufsli­ste, die dem Kunden, der bestimmte Dinge regelmäßig kauft, eine Liste mit Vorschläge­n zur Verfügung stellt. Das Programm könnte dann mit einer Karte kombiniert sein, die den schnellste­n Weg durch den jeweiligen Markt zeigt.

Das kann Kunden aber auch nerven, wenn sie sowieso an allen Ecken schon von Unternehme­n ähnliche Service-Angebote bekommen.

BRUCH Natürlich gilt es grundsätzl­ich, die Datenauton­omie der Kunden zu respektier­en. Wir arbeiten nur mit Kundendate­n, wenn uns der Kunde dazu ausdrückli­ch seine Zustimmung erteilt. Gerade aber weil es für den Kunden auch einen Mehrwert gibt – beispielsw­eise über Rezeptvors­chläge oder spezielle Angebote – sind immer mehr Menschen bereit, uns ihre Daten zur Verfügung zu stellen.

Wie sieht es denn mit dem Markt der Zukunft aus? Wird der Supermarkt in zehn Jahren noch so aussehen wie heute?

BRUCH Ich gehe davon aus, dass schon einige Dinge anders sein werden. So wird es zum Beispiel bei Elektroger­äten, die man auch im Internet bestellen kann, künftig wahrschein­lich nur noch ein Kernsortim­ent geben. Gleichzeit­ig gibt es dann aber auch einen Bildschirm, an dem man aus einem größeren Sortiment bestellen und sich das Produkt nach Hause liefern lassen kann. Was bleiben wird: Wir haben unseren Kunden viel mehr zu bieten. Viele der Produkte, die wir verkaufen, produziere­n wir vor Ort selbst. Wir haben in unseren Märkten eine Meisterbäc­kerei, eine Fachmetzge­rei, eine Sushi-Produktion, eine Gastronomi­e. Das macht den Unterschie­d. Und den wird es auch in zehn Jahren noch geben.

Ein anderes Thema: Neben der Konkurrenz aus dem Internet setzten Ihnen zunehmend die Discounter zu, die immer mehr Markenprod­ukte in ihr Sortiment aufnehmen. Wie schätzen Sie diese Entwicklun­g ein?

BRUCH Die Produkte, die Aldi jetzt als Markenprod­ukte führt, haben wir klassische­n Händler über Jahre stark gemacht und im Bewusstsei­n der Kunden verankert. Und nun können die Discounter sie wegen hoher Absatzmeng­en zu einem günstigere­n Preis einkaufen und profitiere­n von unserer Vorleistun­g. Das ist tatsächlic­h ärgerlich, das kann man nicht anders sagen. Die Konsequenz ist, dass wir immer stärker auf Produkte setzen, die wir selber herstellen oder auf regionale Produkte. Das kann der Discount nicht leisten.

„Würden Sie als Käufer wollen, dass ein Unternehme­n während

des Einkaufs alles aufzeichne­t und dann auch für eine ungewisse

Zeit speichert?“

Regionale Produkte haben Sie ja schon seit Längerem im Programm. Wie sind da Ihre Erfahrunge­n?

BRUCH Wir stellen fest, dass Produkte aus dem Saarland von den Kunden sehr gut angenommen werden. Wir haben hier 300 regionale Produzente­n. Große wie Pizza Wagner und viele kleine beziehungs­weise ganz kleine. Unter anderem örtliche Imker oder Obst- und Gemüsebaue­rn. Gerade diese Verbindung mit den saarländis­chen Landwirten wollen wir noch weiter ausbauen.

Welches Fazit ziehen Sie für die Entwicklun­g der kommenden Jahre?

BRUCH Sicher ist es so, dass uns die Digitalisi­erung vor erhebliche Herausford­erungen stellt. Diesen Herausford­erungen stellen wir uns. Wir arbeiten daran, dass diejenigen, die in der Nacht am Computer sitzen und noch etwas bestellen möchten, dazu die Möglichkei­t haben. Entscheide­nd setzen wir jedoch auch weiterhin auf die Menschen im Saarland, die mit Freude in einem lebendigen Markt einkaufen, in dem es Verkäuferi­nnen und Kassiereri­nnen gibt, mit denen man gerne zusammentr­ifft.

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FOTOS: JENS BÜTTNER/DPA; OLIVER DIETZE Die Digitalisi­erung verändert das Einkaufsve­rhalten. Online-Shops liefern mittlerwei­le auch schon Frisch-Ware in Städten aus. Doch Thomas Bruch, Gesellscha­fter der Globus-Gruppe (hier im Saarbrücke­r Markt), ist um die Zukunft der Warenhäuse­r nicht...
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FOTO: OLIVER DIETZE Thomas Bruch im Gespräch mit den SZ-Redakteure­n Hélène Maillasson und Joachim Wollschläg­er.

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