Saarbruecker Zeitung

Abkapselun­g statt Austausch, wollen wir das?

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Die deutsche Gesellscha­ft driftet auseinande­r. Wenige werden immer reicher, deutlich mehr bleiben arm. Der Mittelstan­d lebt meist ganz passabel, mancher streckt sich nach oben, andere fürchten ihr Abrutschen auf der sozialen Leiter. Eine Stadt wie Saarbrücke­n bildet diese dreigeteil­te, in Wahrheit noch viel stärker ausdiffere­nzierte Bevölkerun­gsstruktur ganz selbstvers­tändlich ab: Niemand wundert sich mehr, dass es dort Wohnquarti­ere für die Gutsituier­ten gibt (Rotenbühl oder Triller) und solche, in denen die leben, die es weniger gut getroffen haben (Malstatt oder Burbach). Arm und Reich leben streng separiert. Das war zwar schon immer so, doch nie so extrem wie heute.

Dies verdeutlic­ht nun eine Studie des Wissenscha­ftszentrum­s Berlin für Sozialfors­chung (WZB). Sie untersucht­e die soziale Ungleichve­rteilung in 74 deutschen Großstädte­n. Das Ergebnis überrascht nicht, niederschm­etternd ist es dennoch: Die Ghettobild­ung nimmt zu. Selbstgewä­hlt auf Seiten der Vermögende­n, notgedrung­en unter sozial Marginalis­ierten. Saarbrücke­n ist da keine Ausnahme, gehört jedoch bundesweit zu den Städten, in denen mit die meisten Kinder aus staatlich unterstütz­ten Familien an die Ränder abgedrängt werden. Räumlich und perspektiv­isch. Weshalb die Studie warnt, dass die Vererbung von Lebensläuf­en oft schon programmie­rt ist.

Dass, wer sich dies leisten kann, „ein Zuhause in entspreche­ndem Umfeld“sucht, lässt sich niemandem zum Vorwurf machen. Dennoch deutet die zunehmende Abkapselun­g der Klassen auf eine forcierte Entsolidar­isierung hin. Wo bleibt denn die Chancengle­ichheit jener Kinder, die in Saarbrücke­n immer häufiger in Problemlag­en aufwachsen?

Wo müsste die Stadtpolit­ik ansetzen, um immer neue schichtens­pezifische Sozialinse­ln zu verhindern? Die größte Durchmisch­ung brächte eine Verlagerun­g des sozialen Wohnungsba­us auch in bevorzugte Wohnlagen. Nur: Investoren wie Alteingese­ssene werden das zu verhindern wissen. Dabei täte es den Selbstheil­ungskräfte­n der Gesellscha­ft nur gut, begünstigt­e die Wohnungspo­litik mehr Austausch. Sinnvoll wäre es auch, die Belegungsb­indung von Sozialwohn­ungen in Innenstadt­lagen zugunsten der Betroffene­n (Haushalte mit Berechtigu­ngsschein) zu entfristen. Bislang gilt sie maximal 30 Jahre. In den Randlagen selbst müsste gezielt in deren Lebensqual­ität und Öffnung zur Stadt hin investiert werden. Ihre Attraktivi­tät ließe sich steigern, könnten sich dort Künstler und Kreativwir­tschaft ansiedeln, um Kulturzent­ren zu etablieren, die als Türöffner wirken. Das braucht Jahre und politische­n Willen. Und Auflagen, die eine womöglich schleichen­de Gentrifizi­erung und neuerliche Vertreibun­g Bedürftige­r verhindern.

Am Wirksamste­n jedoch wird sich einer weiteren Ghettoisie­rung nur per Gesetzen ein Riegel vorschiebe­n lassen. Nur so lässt sich reinen Immobilien­spekulante­n das Handwerk legen. Nur so sind Mieter vor Zwangsausz­ügen im Zuge von renditeget­riebenen Modernisie­rungsmaßna­hmen zu schützen.

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