Saarbruecker Zeitung

Die „Aquarius“erreicht den sicheren spanischen Hafen

Mit viel Jubel endet die Irrfahrt des Flüchtling­sschiffes, das Italien abwies, in Valencia. Der Willkommen­skurs der neuen Regierung erregt aber auch Kritik.

- VON EMILIO RAPPOLD Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Gerrit Dauelsberg

(dpa) Als die ostspanisc­he Küste vom Deck der „Aquarius“aus sichtbar wird, geht es los: Dutzende Flüchtling­e tanzen und singen wie in Trance. Nach einer achttägige­n Irrfahrt durch das Mittelmeer erreichen die Insassen des Seenot-Rettungssc­hiffes in Valencia gestern endlich einen sicheren Hafen. An Land gehen unter dem Beifall von Helfern vorwiegend jüngere Männer, aber auch unbegleite­te sechs- oder siebenjähr­ige Kinder, Frauen mit Kindern auf dem Arm, schwangere Frauen. Sie wirken alle ausgelaugt und unsicher, gehen aber erhobenen Hauptes. Einige singen, einige springen vor Freude, die meisten schweigen.

„Sie sind glücklich, aber nervös, weil sie nicht wissen, was sie erwartet“, erzählt Sara Alonso Esparza vom staatliche­n spanischen Radiosende­r RNE, die auf der „Aquarius“ mitfahren durfte, nachdem Italien vor einer Woche die 629 Flüchtling­e abgewiesen und Spanien sich zur Aufnahme bereit erklärt hatte. Sie wird die Szenen an Deck nie vergessen, sagt sie.

Die Ankunft der „Aquarius“war am Wochenende in ganz Valencia Gesprächst­hema Nummer eins – noch vor dem 3:3-Remis der spanischen Auswahl bei der WM gegen Portugal. „So sind wir in Spanien eben. Wenn jemand Hilfe braucht, helfen wir, wo wir nur können“, sagt die 24-jährige Studentin Ana auf dem Rathauspla­tz. Am Rathaus prangt ein riesiges Plakat: „València Ciutat Refugi“– „Valencia, Stadt der Zuflucht“. Die Welle der Hilfsberei­tschaft ist groß. Supermarkt­ketten und Tante-Emma-Läden spendeten Lebensmitt­el und andere Dinge. Mehr als 2500 Bürger und Familien riefen an oder schickten E-Mails, um vor allem Frauen oder Jugendlich­en Zuflucht anzubieten.

Ist Spanien nicht nur ein Urlaubs-, sondern auch ein Flüchtling­s-Paradies? Ministerpr­äsident Pedro Sánchez ist nur wenige Tage im Amt, aber in der Migrations­politik räumt er schon auf. Es geht nicht nur um die „Aquarius“. Der 46-Jährige kündigte unter anderem an, dass die illegal in Spanien wohnenden Menschen – rund 800 000 – wieder ins Gesundheit­ssystem aufgenomme­n werden sollen. Die konservati­ve Regierung von Mariano Rajoy, die Sánchez per Misstrauen­svotum stürzte, hatte sie 2012 ausgeschlo­ssen. Zeichen setzt Madrid auch mit der Ankündigun­g, man werde die umstritten­en messerscha­rfen Klingen an den Grenzzäune­n der Afrika-Exklaven Ceuta und Melilla entfernen.

Es gibt viel Zustimmung und Anerkennun­g im Land. Aber es gibt auch die, die anders denken. Die die Abweisung der „Aquarius“durch die italienisc­he Regierung loben. Die einflussre­ichen konservati­ven Medien zum Beispiel. „Spanien erlebt aufgrund der Lockwirkun­g eine Flüchtling­slawine“, titelte zum Beispiel gestern die Zeitung „ABC“. Flüchtling­e aus aller Welt würden Spanien überfluten, meinen auch einige ranghohe Politiker von Rajoys Volksparte­i.

Bei einer Protestkun­dgebung fremdenfei­ndlicher Organisati­onen anlässlich der „Aquarius“-Ankunft kamen am Samstagabe­nd in Valencia gerade mal 30 bis 40 Menschen zusammen. „Sehr viele denken wie wir, aber sie wollen sich nicht zeigen. Noch nicht. Bald wird das aber anders sein“, sagte Rentnerin María Jesús. „Die Spanier zuerst“, war auf Plakaten zu lesen.

Die Radiojourn­alistin Alonso Esparza könnte den Demonstran­ten viel erzählen. Vom 16-Jährigen aus Liberia, der auf der „Aquarius“weinte und erzählte, er sei allein, weil seine ganze Familie an Ebola gestorben sei. Oder vom Musiker Jack, der nach eigenen Angaben von der Terrorgrup­pe Boko Haram gefoltert wurde und zu seiner Schwester in Madrid wolle. Die „Aquarius“-Flüchtling­e können nun Hoffnung schöpfen. Aber alle, die künftig im Mittelmeer aufgegriff­en werden, haben eine ungewisse Zukunft. Die Hilfsorgan­isation SOS Méditerran­ée hofft dennoch, dass die Irrfahrt der „Aquarius“zu einem Weckruf für Europa wird.

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FOTO: SAIZ/AP/DPA Die 629 Flüchtling­e an Bord der „Aquarius“erreichten gestern das spanische Valencia. Italien und Malta hatten ihre Häfen für sie gesperrt.

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