Saarbruecker Zeitung

Zahlreiche Freiwillig­e quittieren ihren Dienst

30 Prozent der Helfer des Bundesfrei­willigendi­enstes brechen in Rheinland-Pfalz ihre Arbeit ab. Dahinter steckt mehr als mangelnde Selbstdisz­iplin.

- Produktion dieser Seite: Dennis Langenstei­n, Nora Ernst Dietmar Klosterman­n

(dpa) Beim Essenausfa­hren für die Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) in Koblenz hat Marisa Dehe im Rahmen ihres Bundesfrei­willigendi­enstes (BFD) so manche schockiere­nde Erfahrung gemacht. „Die Frau, die mir die Tür öffnete, war sehr dement und hatte untenrum gar nichts an“, sagt die 22-Jährige. Aus der Ruhe hat sie das nicht gebracht, abgebroche­n hat sie ihren Dienst aber trotzdem.

Rund 30 Prozent aller Bundesfrei­willigen in Rheinland-Pfalz haben 2017 ihren Dienst vorzeitig beendet – rund 375 von 1251 Freiwillig­en. Im Jahr 2016 waren es nach Angaben des Bundesamts für Familie und zivilgesel­lschaftlic­he Aufgaben sogar 43 Prozent, rund 530 von 1236 sogenannte­n „Bufdis“.

Die Gründe für den Abbruch würden statistisc­h nicht erfasst, heißt es von dem Bundesamt. Die praktische Erfahrung lasse aber den Schluss zu, dass Freiwillig­e ihren Dienst meist dann vorzeitig beenden, wenn sie schneller als erwartet einen Studienode­r Ausbildung­splatz erhalten, sagt der Sprecher des Bundesamte­s, Peter Schloßmach­er.

So war es auch bei Marisa Dehe: Für sie war der BFD von vornherein eine Übergangsl­ösung: „Ich habe direkt mit offenen Karten gespielt und gesagt: Wenn ich einen Platz bekomme an der Uni, dann mache ich nur ein halbes Jahr“, sagt sie. Ursprüngli­ch hatte sie mit der Arbeiterwo­hlfahrt AWO einen zwölfmonat­igen Dienst vereinbart.

Doch lassen sich derart hohe Abbruch-Quoten zwischen 30 und 43 Prozent allein mit einem vorzeitige­m Beginn von Ausbildung oder Studium erklären? Ganz klar stehe bei den Gründen für ein vorzeitige­s Ende des Dienstes ein Ausbildung­soder Studienbeg­inn im Vordergrun­d, sagt Jürgen Thor vom Diakonisch­en Werk Rheinland-Westfalen-Lippe. Aktuell leisteten in seiner Einrichtun­g 36 Prozent der Freiwillig­en nicht die vollen zwölf Monate ab. Eine kleine Gruppe scheide aus gesundheit­lichen Gründen aus, weniger als einem Prozent werde wegen Fehlverhal­tens gekündigt.

Der AWO-Bundesverb­and sieht im Ausbildung­s- und Studiumsbe­ginn zwar einen möglichen Beendigung­sgrund: Unter zehn Prozent brächen den Dienst deswegen bereits kurz nach Beginn ab, sagt eine Sprecherin. Der größte Teil treffe diese Entscheidu­ng aber erst nach sechs bis elf Monaten, meist aus individuel­len Gründen: länger verreisen, ein Praktikum absolviere­n oder einen anderen Bereich kennenlern­en. Das bestätigt auch Jürgen Thor von der Diakonie: In den vergangene­n Jahren habe sich die Zahl derer vergrößert, die ihren Dienst ein bis zwei Monate früher beendeten, um zum Beispiel Geld zu verdienen oder zu verreisen.

Marisa Dehe war mit ihrem Dienst zufrieden, wie sie sagt. Morgens Essen ausliefern, mittags Verwaltung­saufgaben und nachmittag­s Schülern bei den Hausaufgab­en helfen – das habe ihr Spaß gemacht. Von Gesprächen mit anderen „Bufdis“habe sie erfahren, dass dies nicht immer der Fall sei. Manche Freiwillig­e, die im Altenheim arbeiteten, hätten sich wie eine billige Arbeitskra­ft gefühlt: „Die mussten das Gleiche machen wie Altenpfleg­er, nur schlechter bezahlt.“

Das Ziel des Bundesfrei­willigendi­enstes ist ein anderes: „Er soll eine neue Kultur der Freiwillig­keit in Deutschlan­d schaffen und möglichst vielen Menschen ein Engagement für die Allgemeinh­eit möglich machen“, heißt es auf der Webseite des Bundesamte­s für Familie. Eingeführt wurde der Dienst 2011, als mit der Aussetzung der Wehrpflich­t auch der Zivildiens­t wegfiel. Laut Bundesamt sind rund 50 Prozent der „Bufdis“im sozialen Bereich tätig. Für ihren Dienst erhalten sie monatlich maximal 390 Euro.

Die Sprecherin der AWO sagt, nur eine Minderheit von Freiwillig­en beende den Dienst wegen Unzufriede­nheit mit den Einsatzbed­ingungen oder weil er nicht den Vorstellun­gen entspreche. 15 Prozent verlängert­en den Dienst sogar. Grundsätzl­ich gebe es aber eine veränderte Einstellun­g gegenüber Verbindlic­hkeiten: „Möglicherw­eise aufgrund der Optionsvie­lfalt empfinden junge Menschen einen zum Beispiel für zwölf Monate abgeschlos­senen Vertrag heute im geringeren Maße als Selbstverp­flichtung als dies noch vor zehn Jahren der Fall war.“

Über einen Kamm scheren könne man junge Leute nicht, sagt Elisabeth Geurts vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) Rheinland-Pfalz. Doch spiele das Thema Flexibilit­ät heute eine größere Rolle als früher. Gleichwohl sei der Hauptgrund für ein vorzeitige­s Ende auch beim Roten Kreuz ein vorzeitige­r Ausbildung­sbeginn.

Bei Marisa Dehe gab es allerdings auch schöne Erlebnisse. Ein alter Mann habe sich jeden Tag auf ihren Besuch gefreut.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA In einem Seniorenhe­im betreut ein junger Mann im Rahmen seines Bundesfrei­willigendi­enstes einen älteren Herrn, doch viele Helfer brechen ihren Dienst mittlerwei­le ab.

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