Ein Saar-Jäger spricht über seine Leidenschaft
Für Kriegsdienstgegner sind Militär und Glauben miteinander unvereinbar. Karl-Martin Unrath, der neue evangelische Pfarrer bei der Bundeswehr im Saarland, denkt anders darüber.
SAARLOUIS (dpa) Die Frage „Haben Sie gedient?“hat Karl-Martin Unrath schon häufiger gehört, seit er sein Büro in der Graf-Werder-Kaserne in Saarlouis bezogen hat. „Selbstverständlich“, sagt der Militärpfarrer dann. „18 Monate Zivildienst“. Und in der Regel, so berichtet er, werde dann gelacht.
Auch der 57-Jährige muss manchmal schmunzeln, wenn er auf seine persönliche Vergangenheit zurückschaut, die durch die kirchliche Friedensbewegung geprägt war. Wenn er in Frankfurt nicht gerade gegen die neue Startbahn am Flughafen protestierte, sei er gegen den Nato-Doppelbeschluss auf der Straße gegangen. „Manchmal wundere ich mich heute über mich, wo ich gelandet bin“, gibt er zu. Denn seit acht Monaten ist Unrath der neue Militärpfarrer im Saarland. Zuvor war er 25 Jahre als methodistischer Pastor tätig, bevor er 2013 zur Rheinischen Landeskirche wechselte.
Unraths Stelle war zuvor dreieinhalb Jahre nicht besetzt gewesen – was seiner Ansicht nach nicht am Militärstandort liegt, sondern damit zusammenhängt, dass es in der Kirche zunehmend weniger Nachwuchs gebe und man sich als Pastor eine Stelle aussuchen könne. „Und junge Kollegen wollen nicht ins hinterste Saarland“, sagt Unrath, „für die ist das hier tiefste Provinz. Und dass man hier gut und gerne und schön leben kann, wissen die nicht.“
Auf der anderen Seite räumt der 57-Jährige ein, dass die Militärseelsorge für das klassische protestantische Klientel und auch Pfarrer „ein heißes Pflaster und ethisch natürlich nach wie vor umstritten“sei.
Das gilt auch für die DFG-VK (Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen). „Statt für Nächstenliebe und Gewaltfreiheit zu werben, hilft die Militärseelsorge heute, die Moral der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz hochzuhalten“, kritisiert der politische Geschäftsführer, Michael Schulze von Glaße. „Damit ist sie leider Teil der Kriegsmaschinerie. Allein schon das fünfte Gebot (Du sollst nicht töten) zeigt die Unvereinbarkeit von Militär und Glauben.“Die DFG-VK fordere eine konfessionsunabhängige Soldatenseelsorge, vom Militär getrennt.
Unrath, der sich vor knapp 40 Jahren noch von den Kriegsdienstgegnern beraten ließ, hat sich mit deren jüngster Studie befasst. Sein Fazit: „Die Argumente gegen die Militärseelsorge sind eine Aneinanderreihung von Klischees, die der Wirklichkeit nicht standhalten.“Die Erklärung, dass kirchliche Freiheit nicht gegeben sein könnte, sei falsch. In Verträgen sei geregelt, dass Militärpfarrer dem Bekenntnis der Kirchen verpflichtet seien – „und sonst gar nichts“.
Den Ausschlag, sich als Militärpfarrer zu bewerben, habe gegeben, dass ihm die Ausschreibung auf den Leib geschrieben gewesen sei. Nicht nur, weil er auch hier die klassischen pastoralen Aufgaben „Verkündigung, Seelsorge und Lehre“übernehme, sondern auch, weil er dies mit Freiheit und Eigenverantwortlichkeit tun könne. Und weil er hier seine Reisefreudigkeit – bis hin zu Auslandseinsätzen – ausleben könne. „Ich habe etwas Neues gesucht, noch einmal eine Herausforderung, um nicht zu sagen, ein Abenteuer.“
Dass das ausgerechnet in der Bundeswehr möglich wurde, dafür bildete nicht zuletzt auch ein Wechsel seiner politischen Überzeugung die Voraussetzung. „Der Pazifismus, den ich damals durchaus vertreten habe, hatte im Hintergrund ein Menschenbild, das ich heute als naiv betrachte“, sagt der Pfarrer. „Ich bin nicht mehr davon überzeugt, wie ich das als junger Mann mal war, dass die demonstrative Wehrlosigkeit der Einen notwendigerweise alle anderen friedfertig machen muss.“
Gleichwohl ist ihm wichtig, zu betonen: „Ich bin so friedensbewegt wie eh und je.“Dass Politik und Diplomatie in internationalen Konflikten unbedingten Vorrang vor militärischen Aktionen hätten, stehe außer Frage. Militärische Aktionen könnten seiner Ansicht nach immer nur das allerletzte Mittel sein. „Mein friedensethisches Leitbild ist das des „gerechten Friedens““, sagt er. „Aber der braucht einen Rahmen, der, wenn er anders nicht zu schützen ist, auch robust, das heißt auch militärisch, geschützt werden muss.“
Und er habe gelernt: Soldaten seien sehr ansprechbar und reflektierten die Verantwortlichkeit ihres Handelns. „Zu wissen, dass sie vielleicht tatsächlich einmal in ein Gefecht kommen, wo die Möglichkeit besteht, zu töten, ist nichts, worüber sie lächelnd hinweggehen“, sagt der Pfarrer. „Damit setzen sie sich stark auseinander. Und manche sitzen dann danach bei mir.“
In den vergangenen Monaten habe er Betroffene kennengelernt, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. „Entweder, weil sie Opfer von Gewalt wurden, oder weil sie Gewalt ausgeübt haben“, sagt Unrath. Dabei gehe es auch darum, ihr Problem zu würdigen. Doch es sind nicht nur berufliche und ethische Probleme, die die Soldaten dazu veranlassen, Kontakt zu Unrath aufzunehmen. Mal gehe es um familiäre Probleme, mal um finanzielle Schwierigkeiten. „Die Fälle sind sehr unterschiedlich.“
Nach den Erfahrungen der ersten acht Monate ist Unrath überzeugt: „Das war dienstlich die beste Entscheidung meines Lebens.“Ob er heute, wenn er nochmal vor der Entscheidung stände, wieder den Wehrdienst verweigern würde? „Zumindest wäre das heute für mich eine wirkliche Frage“, sagt Unrath.