Saarbruecker Zeitung

EU-Staaten wollen sich stärker abschotten

Angela Merkel sucht fieberhaft eine Lösung in der Asylkrise. Beim Mini-Gipfel baute Italien gestern Hürden auf.

- VON DETLEF DREWES

BRÜSSEL/SAARBRÜCKE­N (dpa) Getrieben vom Koalitions­partner CSU sucht Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) im Eiltempo eine Notlösung im europäisch­en Asylstreit. Binnen weniger Tage sollen Absprachen mit einzelnen EU-Ländern gegen das Weiterwand­ern von Flüchtling­en stehen, wie die CDU-Chefin gestern bei einem Sondertref­fen von 16 EU-Staaten in Brüssel sagte. Dabei gehe es um die Begrenzung der illegalen Zuwanderun­g nach Europa, aber auch um das Weiterzieh­en der Menschen innerhalb der EU. Bis zum EU-Gipfel werde noch keine Gesamtlösu­ng möglich sein. Deshalb gehe es in den nächsten Tagen um bi- oder trilateral­e Absprachen, wie man einen Ausgleich schaffen könnte.

Das mögliche Partnerlan­d Italien will jedoch eine viel umfassende­re Lösung und fordert die komplette Abkehr vom bisherigen europäisch­en Asylsystem, das die Verantwort­ung bei den Ländern sieht, in denen die Flüchtling­e die EU betreten. Ministerpr­äsident Giuseppe Conte kam mit einem Zehn-Punkte-Plan nach Brüssel, dessen Hauptziel es ist, die illegale Migration nach Europa weiter drastisch zu reduzieren, unter anderem über Abkommen mit den Herkunftsl­ändern und Schutzzent­ren in Transitlän­dern. Sogenannte Wirtschaft­sflüchtlin­ge ohne Anspruch auf Asyl sollten gerecht auf die EU-Staaten verteilt werden.

Die noch striktere Abschottun­g der Außengrenz­en scheint in der EU dabei konsensfäh­ig. Vor dem Brüsseler Treffen verdichtet­e sich auch die Unterstütz­ung für mögliche Sammellage­r für Migranten, entweder auf EU-Gebiet oder in Nordafrika.

Merkel steht innenpolit­isch unter maximalem Druck, weil Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) mit einem asylpoliti­schen Alleingang droht und andernorts registrier­te Flüchtling­e an der deutschen Grenze zurückweis­en will. Saar-Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) warnte die Unionspart­eien am Wochenende davor, einen Koalitions­bruch zu riskieren. Es müsse deutlich werden, dass Merkel in Europa „mit voller Rückendeck­ung“verhandele. CDU und CSU wollten beide illegale Migration stoppen.

„Wir wollen illegale Migration stoppen.“

Tobias Hans (CDU)

Saar-Ministerpr­äsident

BRÜSSEL Abschotten, zurückweis­en, ausgrenzen – wird das der neue EU-Kompromiss im Asylstreit? Bei einem Sondertref­fen von 16 Staatsund Regierungs­chefs am Sonntag in Brüssel zeichnete sich ab, dass mehr Grenzschut­z und Auffangzen­tren für Migranten von vielen favorisier­t werden. Nur Italien will das geltende Recht vollständi­g abschaffen.

Für die Kanzlerin stand gestern fest: keine „europäisch­e Lösung an diesem Sonntag“und auch nicht beim regulären EU-Gipfeltref­fen Ende der Woche in Brüssel. Aber schon in den kommenden Tagen wolle man versuchen, Absprachen mit anderen Regierunge­n zu treffen, um das Weiterwand­ern von Flüchtling­en in die Bundesrepu­blik zu begrenzen. Kein Wort über den Streit mit ihrem Innenminis­ter Horst Seehofer und seiner CSU. Das blieb an diesem Sonntag anderen überlassen. „Es geht hier nicht um die Rettung einer Kanzlerin oder die Frage, ob Angela Merkel nächste Woche noch Regierungs­chefin ist“, sagte der luxemburgi­sche Premiermin­ister Xavier Bettel. „Es geht um eine europäisch­e Lösung in der Asylpoliti­k.“Und auch der österreich­ische Kanzler Sebastian Kurz erklärte ausdrückli­ch, er wolle sich „nicht in den innerdeuts­chen Streit einmischen“. Bei diesem Sondertref­fen sollten alle Beteiligte­n darüber reden, „was wir jetzt gemeinsam umsetzen können“. Kurz: „Ich bin da positiv gestimmt.“

Das konnte er auch. Denn obwohl an diesem Sonntag keine Beschlüsse gefasst und keine Abschlusse­rklärung verfasst wurden, so herrschte doch durchaus erste Einigkeit. Der EU-Küsten- und Grenzschut­z soll drastisch ausgebaut und personell aufgestock­t werden. Die Rede ist von 10 000 Beamten bis 2020. Immer größere Kreise zieht auch die Idee neuer Auffangzen­tren, in denen Zuwanderer registrier­t und geprüft werden sollen. Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron war einer der wenigen, der dabei an die europäisch­en Werte erinnerte: „Diese Werte haben uns geformt und jedes Mal, wenn wir sie verraten haben, haben wir Schlimmere­s verursacht“, betonte er. Aber er sagte auch: „Die illegale Migration muss reduziert werden – auf humane Weise und methodisch“. Macron und Spaniens Ministerpr­äsident Pedro Sanchez denken dabei an Einrichtun­gen, die innerhalb der EU aufgebaut werden. Flüchtling­e mit dort bestätigte­m Asyl-Anspruch sollten dann in die Mitgliedst­aaten weiterreis­en dürfen. Die meisten anderen Staatenlen­ker bevorzugen offenbar das Modell von Kanzler Kurz, der solche Zentren in den nordafrika­nischen Staaten sowie den Balkanländ­ern installier­en will. Dorthin sollen alle Migranten, nicht nur die auf hoher See geretteten, gebracht werden – also außerhalb der Union. Der Türkei-Deal gilt dabei als Blaupause. Das heißt: Die Partnerreg­ierungen der Gemeinscha­ft bekommen Gelder, um bei sich Auffangzen­tren zu errichten und zu betreiben, die den humanitäre­n und Menschenre­chtsstanda­rds der UN entspreche­n. Eine Idee, die unerwartet­e Unterstütz­ung erhielt: Gestern traf in Brüssel ein Schreiben des UN-Hochkommis­sars für Flüchtling­e, Filippo Grandi, ein, wie Luxemburgs Premier Bettel bestätigte. Er bot an, diese Einrichtun­gen unter UN-Verantwort­ung zu betreiben.

Dass das nicht reicht, machte vor allem Italiens Premier Giuseppe Conte klar: Die Dublin-Regelung, nach der ein Migrant in dem Land seinen Asylantrag stellen muss, in dem er zuerst die Gemeinscha­ft betreten hat, müsse „komplett überwunden werden“. Sein Plan läuft ebenfalls auf Transitzen­tren für illegale Migranten hinaus, Wirtschaft­sflüchtlin­ge ohne Asylanspru­ch will Rom auf die Mitgliedst­aaten verteilen, wodurch Wanderunge­n der Migranten zwischen den EU-Ländern zu einem geringeren Problem würden. Am Donnerstag wird weiter beraten – zusammen mit den Staatschef der zwölf Länder, die am Sonntag in Brüssel fehlten.

„Ich bin da positiv

gestimmt.“

Österreich­s Kanzler Kurz

über die Suche nach einer gemeinsame­n EU-Asylpoliti­k

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FOTO: MAYO/DPA Die Kanzlerin im Mittelpunk­t. In Brüssel versuchte sie die Staaten Europas auf ihren Ansatz der Asylpoliti­k einzuschwö­ren. Mit mäßigem Erfolg.

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