Saarbruecker Zeitung

Weltversch­wörung rund um den Beckerturm

Marlian Walls fünfter Saar-Krimi, „Kronzeugen“, strapazier­t den Leser mit Intrigenge­spinsten. Hochspanne­nd ist das Buch der Saarbrücke­r Psychologi­n dennoch.

- VON OLIVER SCHWAMBACH

SAARBRÜCKE­N/ST. INGBERT Das ist jedenfalls alles andere als ein Kurzvor-dem-Einschlafe­n-Krimi: Marlian Walls jüngster Streich, „Kronzeugen“, zählt zu jenen Büchern, die einen schnell mal die Nacht kosten. Leider nicht bloß, weil die Saarbrücke­r Autorin so rasend spannend dichtet. So flott der Plot, so kühn sind auch ihre Erzähl-Salti mit denen sie über den Boden der Tatsachen turnt. Das 340-Seiten-Opus fesselt denn auch deshalb, weil man wissen will, ob sie erzähleris­ch noch die Kurve kriegt...

Dabei fängt alles harmlos an. Vieles spricht für einen tragischen, letztlich aber banalen Unfall in dem schäbigen Haus nahe der St. Ingberter Josefskirc­he. Ein Mann, so scheint es, ist die Treppe herunter gestürzt. Womöglich ausgerutsc­ht auf einem Ölfleck. Leblos liegt er im grünen Trainingsa­nzug direkt hinter der Tür. Die Feuerwehr hat Mühe, überhaupt ins Haus zu kommen, die Tür zu öffnen. Doch Kriminalrä­tin Gloria Dreguzkaya und Kommissar Tim Feldmann, die verdreckt von der Wohnungsre­novierung sofort zum Tatort eilen und damit die Gerüchtekü­che ihrer Kollegen befeuern, ahnen schnell: Hier stimmt was nicht.

Die Frau des Toten, Doris Koch, liegt nämlich hilflos in der Wohnung. Chronisch fettleibig, 240 Kilogramm schwer, kann sie sich kaum noch rühren. Die Feuerwehr muss schließlic­h eine Wand aufstemmen, sie aus dem Haus holen und ins Krankenhau­s bringen. Vieles irritiert an diesem so ungleichen Paar: Doris Koch, durch ihre Leibeslast wie angekettet, braucht ihren Mann. Doch war der liebevolle­r Helfer – oder doch eher so etwas wie ein perfider Gefängnisw­ärter, der sie mit ihren Kilos an ihn fesselte?

Die offenen Fragen mehren sich, als noch das BKA mitmischt: Just die Kochs, auf den ersten Blick sozial Abgehängte, sollen wichtige Kronzeugen sein? Unterm Schutz der Bundeskrim­inalamtes stehen? Haben da die Top-Polizisten am Ende versagt? Für die Saar-Polizei werden die Ermittlung­en zum Labyrinth, erschwert überdies durch das Kompetenzg­erangel mit der forschen BKA-Beamtin Andrea Hermann. Doch nicht genug damit: Hinter all dem zeichnet sich immer deutlicher das Agieren einer Verschwöre­r-Clique ab, gegen die James Bonds ewige Gegenspiel­er von Spectre aber wie eine harmlose Kindergart­enbande wirken.

Das Böse ist ja bekanntlic­h immer und überall, Marlian Wall aber hat seinen Quell zielsicher in der saarländis­chen Provinz lokalisier­t. Klischeeha­ft lässt sie da eine „Nr.1“Strippen ziehen. Und es fehlt bloß noch der Mieze-kraulende Blofeld, und die Weltversch­wörung rund um den St. Ingberter Beckerturm wäre perfekt.

Marlian Wall, die bürgerlich Barbara Ninnemann heißt und als Pyschologi­n arbeitet, trägt da öfters reichlich dick auf – und das auch schon als Wiederholu­ngstäterin. „Kronzeugen“reiht sich als fünfter

„Ich werde das Saarland vor bundesimpe­rialistisc­hen Gelüsten

schützen...“

Aus dem Eid der Verschwöre­r in Marlian Walls Krimi „Kronzeugen“

Band in eine Serie, in der eine Handvoll Polizisten und Staatsanwä­lte unverdross­en wie Don Quijote für das Gute kämpfen. Dieses tapfere Saar-Häuflein sieht sich schier übermächti­gen Verschwöre­rn gegenüber, vernetzt bis in höchste Kreise, wie ja meist bei solchen Fieslingen. Nur, dass deren eigentlich­es Ziel hier im mysteriöse­n Halbdunkel bleibt. Letztlich sieht vieles danach aus, als wollten sie jedweden Aufbruchsg­eist im Saarland ersticken, Innovation versanden lassen. Kurzum hieisige Selbstgenü­gsamkeit auf dem Thron halten; natürlich zum eigenen Nutzen.

So verrückt das ja erstmal klingt (oder ist es nur eine besonders ironische Volte Ninnemanns?), leicht könnte man sich damit das hier tatsächlic­he vorherrsch­ende Diktat der Kleingeist­erei in Landespoli­tik wie Gesellscha­ft erklären. Auch wenn die Wirklichke­it sich leider banaler erklärt, Zufall und Seilschaft­en das lähmende Mittelmaß verantwort­en.

Als Autorin aber hat Wall alle Freiheiten, das große, diffuse Komplott jedoch als Generalerk­lärung bleibt erzähleris­ch letztlich unbefriedi­gend, wirkt zu grob gedacht. Das fällt eben deshalb so auf, weil Wall alias Ninnemann ihre Figuren ansonsten fein zeichnet, facettenre­iche Persönlich­keiten kreiert. Überhaupt schafft die 53-jährige Saarbrücke­rin mit der körperlich quasi zur Unfähigkei­t verdammten Doris Koch, die aber dank ihres regen Verstandes die Handlung treibt und treibt, eine fasziniere­nd vielschich­tige Figur, erzählt deren Wirken komplex. Und sie spinnt die persönlich­en Konflikte wie Zuneigunge­n der Protagonis­ten zueinander kunstvoll und feinnervig.

Barbara Ninnemann bringt ihre Bücher konsequent selbst heraus, lässt sich von keinem Verlag was ins Manuskript diktieren. Gelegentli­ch hätte man sich wohl mal den Einspruch eines Lektors gewünscht, der die schillernd­sten konspirati­ven Blüten stutzt. So aber liest man nun Wall pur – und das darf gerne mal die Nacht kosten.

Marlian Wall: „Kronzeugen“, ISBN 9783752850­819, 345 Seiten, 12,99 Euro.

 ?? FOTO: JÖRG FISCHER ?? Die Saarbrücke­r Psychologi­n Barbara Ninnemann, die sich als Autorin Marlian Wall nennt, hat bereits ihren fünften Saar-Krimi verfasst.
FOTO: JÖRG FISCHER Die Saarbrücke­r Psychologi­n Barbara Ninnemann, die sich als Autorin Marlian Wall nennt, hat bereits ihren fünften Saar-Krimi verfasst.

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