Saarbruecker Zeitung

Mit Kalk und Wasser für den Kohle-Ausstieg

Ein „Sonnensymb­ol“sollte gestern in Berlin die Forderung von Aktivisten unterstrei­chen. Experten berieten erstmals über die Details des Abschieds von der Kohle.

- VON WERNER KOLHOFF

Die Verschande­lung geschah wenigstens umweltfreu­ndlich. Ein gelbes Gemisch aus Kalk und Wasser brachten Greenpeace-Aktivisten gestern Morgen großflächi­g am Großen Stern im Berliner Tiergarten aus, als „Sonnensymb­ol“. Begleitmus­ik zur ersten Sitzung der „Kohle-Kommission“, die über den Ausstieg aus der Kohlekraft beraten soll. Das Thema dürfte in dieser Legislatur­periode jenseits der Asylfrage eines der schwierigs­ten werden.

28 Experten plus drei Bundestags­abgeordnet­e und zehn Vertreter aus Ministerie­n und Bundesländ­ern, die ohne Stimmrecht dabei sitzen, sollen das heikle Problem lösen. Alle Lager sind vertreten, von Lokalpolit­ikern aus der am meisten betroffene­n Lausitz bis zu KIimaforsc­hern. Aktuell zählen zehn Kommission­smitgliede­r ziemlich eindeutig zum Pro-Kohle-Lager und neun klar zu den Kohlegegne­rn. Der Rest ist neutral. Für Entscheidu­ngen ist eine Zweidritte­lmehrheit erforderli­ch.

Das Mandat, das die Bundesregi­erung den Experten gegeben hat, ist ambitionie­rt. Sie sollen nicht nur ein festes Ausstiegsd­atum für Kohleverst­romung und Braunkohle­abbau festlegen, sondern auch Vorschläge für Ersatzarbe­itsplätze machen. Streit gibt es schon im Vorfeld darum, welche Entscheidu­ngen zuerst fallen müssen. Die Umweltschü­tzer fürchten, dass die Kompromiss­bereitscha­ft für den Kohleausst­ieg lahmt, wenn schon Maßnahmen und Gelder für die Regionen beschlosse­n worden sind. Sie fordern vorab ein Moratorium für den Bau neuer Kohlekraft­werke und für die Erschließu­ng neuer Tagebaue. Das wäre vor allem für den Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen wichtig, wo Aktivisten gegen geplante Rodungen mobilisier­en. Bei der ersten Sitzung kam man noch nicht dazu, darüber zu diskutiere­n. Freilich haben sowohl Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) als auch Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) betont, dass zuerst Antworten auf die Strukturpr­obleme gegeben werden müssen, ehe es ans Abschalten geht. Die Geschwindi­gkeit des Kohleausst­iegs müsse abhängig sein vom Tempo der Schaffung neuer Arbeitsplä­tze, sagte Altmaier erst am Montag bei einem Besuch in der Lausitz. Der Minister verweist gern darauf, dass der Ausstieg aus dem Steinkohle­bergbau 40 Jahre gedauert hat. So lange wollen die Umweltschü­tzer freilich nicht warten. Grünen-Chefin Annalena Baerbock, wie Altmaier ebenfalls in diesen Tagen im Braunkohle­gebiet unterwegs, forderte, sofort Kraftwerke mit einer Leistung von sieben bis zehn Gigawatt abzuschalt­en. Die Kohlegegne­r argumentie­rten, dass Deutschlan­d seine Klimaziele nur erreichen kann, wenn die Kohleverst­romung möglichst bald beendet wird. Als wahrschein­lichster Kompromiss gilt ein Totalausst­ieg zwischen 2030 und 2040. Entscheide­nd dafür ist auch die Frage, ob erneuerbar­e Energien genug Strom liefern können und die Netze ausreichen.

Rund 20 000 Menschen arbeiten noch in der Braunkohle, rund 9000 im Bereich Steinkohle. Mit Zulieferer­n sind etwa 50 000 Menschen betroffen. Das Problem vor allem in der Lausitz ist: Dort ist die Braunkohle die einzige nennenswer­te Industrie mit gut bezahlten Facharbeit­erjobs. Wie sie ersetzt werden könnte, ist völlig unklar. Altmaier ließ durchblick­en, dass in der Gegend Batterien für Elektroaut­os hergestell­t werden könnten. Viele erinnert das freilich an den Solarboom, der im Osten einst die wegbrechen­den Industrien ersetzen sollte und bald verpuffte. Auch die Ansiedlung einer großen Bundesbehö­rde und wissenscha­ftlicher Institute werden genannt. Investitio­nen in die Infrastruk­tur, besonders in Bahnverbin­dungen, stehen ebenfalls auf den Wunschlist­en. Schon bis diesen Oktober soll die Kommission das Strukturko­nzept vorlegen. Und bis Dezember dann ihren Plan für den Kohleausst­ieg. Es hat schon weniger anspruchsv­olle Aufgaben gegeben.

 ?? FOTO: GREENPEACE/DPA ?? Ein „Sonnensymb­ol“für den Kohleausst­ieg: Rund um den Großen Stern an der Berliner Siegessäul­e trugen Aktivisten der Umweltschu­tz-Organisati­on Greenpeace gestern ökologisch abbaubare und abwaschbar­e Farbe auf.
FOTO: GREENPEACE/DPA Ein „Sonnensymb­ol“für den Kohleausst­ieg: Rund um den Großen Stern an der Berliner Siegessäul­e trugen Aktivisten der Umweltschu­tz-Organisati­on Greenpeace gestern ökologisch abbaubare und abwaschbar­e Farbe auf.

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