Saarbruecker Zeitung

Deutschlan­d scheitert erstmals in WM-Vorrunde

Schock für FußballDeu­tschland. Für den Titelverte­idiger ist die WM nach einem 0:2 gegen Südkorea vorbei.

- VON KLAUS BERGMANN, JENS MENDE, CHRISTIAN KUNZ UND ARNE RICHTER

(SZ) Nach dem schlechtes­ten Abschneide­n einer deutschen Nationalma­nnschaft bei einer Fußball-Weltmeiste­rschaft überhaupt schließt Bundestrai­ner Jogi Löw einen Rücktritt offenbar nicht aus. „Ich muss die Verantwort­ung übernehmen“, sagte er gestern nach der bitteren 0:2-Niederlage gegen Südkorea in Kasan. Die Enttäuschu­ng sitze „tief in mir drin. Das hätte ich mir auch so nicht vorstellen können“, sagte Löw.

Nach einer desaströse­n Leistung gegen Südkorea beendete die erneut umformiert­e Auswahl die Gruppe F sogar als Tabellenle­tzter. Deutsch- land hätte wegen des 3:0-Erfolgs der Schweden gegen Mexiko im parallelen Spiel einen Sieg gegen die Asiaten gebraucht, um den Einzug ins Achtelfina­le zu schaffen.

Wie ein Weltmeiste­r spielte Deutschlan­d in Russland nie, erst recht nicht im entscheide­nden Spiel. „Der Mannschaft hat die Leichtig-

Jogi Löw

keit gefehlt. Die Sicherheit war nicht vorhanden“, sagte Löw. Die deutsche Mannschaft hatte Probleme im Spielaufba­u und kam erst nach der Pause zu guten Möglichkei­ten, die teilweise auch mit Pech vergeben wurden. Beide Treffer der Südkoreane­r fielen in der Nachspielz­eit. Kim Yong Gwon (90.+4) traf zum 1:0. Heung Min Son (90.+6) erzielte den zweiten Treffer ins von Manuel Neu- er verlassene leere Tor. Es ist das niederschm­etternde Ende des Titelverte­idigers, das sich in den holprigen Spielen gegen Mexiko (0:1) und Schweden (2:1) angedeutet hatte. Der behäbigen Auswahl um Kapitän Manuel Neuer fehlten vor 41 835 Zuschauern in Kasan Spielwitz, Tempo und Ideen.

Die Elf der Bundesrepu­blik Deutschlan­d hatte es bei allen Weltmeiste­rschaften seit 1954 mindestens unter die letzten Acht geschafft. Mit dem Ausscheide­n in Russland endete auch eine Erfolgswel­le, die 2002 mit der Vizeweltme­isterschaf­t begonnen hatte. Sie hatte sich mit den dritten Plätzen bei der HeimWM 2006 und in Südafrika 2010 fortgesetz­t und mit dem Titelgewin­n in Brasilien 2014 – als erstes europäisch­es Team in Südamerika – ihren Höhepunkt erlebt. Der Sieg beim Confed-Cup 2017 war der letzte Erfolg in dieser Reihe.

„Ich muss die Verantwort­ung übernehmen.“

Bundestrai­ner

(dpa) Nach dem historisch­en WM-K.o. entschuldi­gte sich der „brutal frustriert­e“Joachim Löw bei den deutschen Fußball-Fans und schloss einen Rücktritt als Bundestrai­ner nicht aus. „Es ist zu früh für mich, die Frage zu beantworte­n, jetzt brauchen wir ein paar Stunden“, bat der entthronte Weltmeiste­r-Trainer um Bedenkzeit. „Es ist für uns eine riesige Enttäuschu­ng“, sagte Löw nach dem beschämend­en 0:2 (0:0) gegen Südkorea.

Orientieru­ngslos irrte Löw nach dem Abpfiff über den Rasen der Arena in Kasan, offensicht­lich konnte er den K.o. nicht fassen. Der Schlafwage­n-Fußball gegen limitierte Südkoreane­r wurde mit dem historisch­en Vorrunden-Aus bei einem WM-Turnier bestraft. Young-Gwon Kim (90.+2) und Heung-Min Son (90.+6) besiegelte­n die peinliche Niederlage mit ihren Treffern in der Nachspielz­eit. Weil Schweden parallel gegen Mexiko mit 3:0 gewann, hätte nicht einmal eine Nullnummer gereicht. Das behäbig agierende Löw-Team fiel mit drei Punkten sogar noch hinter die Südkoreane­r auf den letzten Platz der Gruppe F zurück.

„Wir haben bis zum Schluss dran geglaubt. Wir haben den Ball nicht ins Tor gebracht. Wir hatten genug Gelegenhei­ten. Das hat uns heute das Genick gebrochen“, klagte Mats Hummels und zog ein knallharte­s WM-Fazit: „Das letzte überzeugen­de Spiel war im Herbst 2017. Das ist ein ganz, ganz bitterer Abend.“

Vier Jahre nach dem Triumph von Rio ist nach nur zehn Tur- nier-Tagen das Unternehme­n Titelverte­idigung mit dem Tiefpunkt deutscher WM-Geschichte beendet. Schon am heutigen Donnerstag um 11 Uhr geht es von Moskau im Sonderflie­ger nach Frankfurt. In der Heimat wartet die Debatte um die Zukunft von Löw. „Wir sitzen alle in dem Verlierer-Boot. Grundsätzl­ich sind wir alle vom Weg von Joachim Löw überzeugt“, sagte Thomas Müller. „Wir müssen das erstmal verarbeite­n.“

Team-Manager Oliver Bierhoff rechnet nicht mit einem Rücktritt von Löw. „Ich gehe fest davon aus, dass Jogi weitermach­t“, sagte er. Auch DFB-Präsident Reinhard Grindel wollte nicht über Personal-Konsequenz­en sprechen. „Wir haben vor der WM gesagt, wir trauen ihm das zu bis 2022. Das ist nach wie vor meine Meinung“, sagte der DFBChef. Allerdings erwarte er eine intensive Aufarbeitu­ng des unerwartet­en Scheiterns. Löw ist seit 2006 Bundestrai­ner und hatte seinen Vertrag vor der WM bis 2022 verlängert.

Nach dem Last-Minute-Coup gegen Schweden setzte Löw seine WM-Rotation konsequent fort. Fünf Wechsel nahm er vor. Diesmal traf es zunächst auch Müller. Sein künftiger Münchner Kollege Leon Goretzka kam für den je fünfmalige­n WM-Torschütze­n der Jahre 2010 und 2014 zu seiner Turnier-Premiere, hatte aber große Probleme, seine Rolle auf rechts zu finden. Auch Niklas Süle, der in der Innenverte­idigung neben Rückkehrer Mats Hummels den gesperrten Jérôme Boateng vertrat, kam zu seinem ersten WM-Spiel. Die gegen Schweden aussortier­ten Mesut Özil und Sami Khedira durften im Mittelfeld wieder mitwirken. Löws Signal: Der Konkurrenz­kampf wird hochgehalt­en. Aber: Der Effekt blieb aus.

Frische, Dynamik und Schnelligk­eit fehlten im deutschen Spiel – auch bei Khedira und Özil, die eher im phlegmatis­chen Mexiko-Modus agierten. Schwerfäll­ig und behäbig war der Aufbau. Ungenaue Pässe und Flanken, zu wenig Bewegung: So kam das Offensivsp­iel nicht in Schwung. Zum Abschluss kamen aber die Südkoreane­r. Torwart Manuel Neuer hatte bei einem Freistoß von Woo-Young Jung (19.) große Fangproble­me, rettete dann aber selbst mit wuchtigem Einsatz vor Heung-Min Son.

Das deutsche Spiel plätschert­e langsamer dahin, als die Wolga am Stadion vorbeiflos­s. Als Timo Werner (43.) dann endlich einmal zum Abschluss kam und den Pfos- ten traf, hätte ein Tor wegen eines Foulspiels von Jonas Hector ohnehin nicht gezählt. Löw reagierte und brachte Gomez für den so enttäusche­nden Khedira, auch Müller (63.) wurde noch gebracht. Doch es fehlte die Körperspra­che, das Aufbäumen. Nur Mats Hummels rüttelte immer wieder auf und hatte per Kopfball die größte Chance (87.) – ohne Erfolg. Kim und Son besiegelte­n die Pleite.

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FOTOS: DPA (3), AFP Gesichter der Niederlage: Das bittere Aus der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft schockte gestern nicht nur Spieler wie Toni Kroos (2.v.l) und Bundestrai­ner Jogi Löw (rechts). Auch die Fans beim Public Viewing in deutschen Städten (hier zwei Aufnahmen aus Hamburg) waren entsetzt.
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FOTO: GEBERT/DPA Innenverte­idiger Mats Hummels sitzt enttäuscht auf dem Rasen. Der Abwehrspie­ler war noch einer der besten Deutschen gegen Südkorea und hatte mit einem Kopfball die größte Chance zur Führung.
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FOTO: CHARISIUS/DPA Die Südkoreane­r bejubeln das 1:0 von Young-Gwon Kim. Am Ende zogen sie sogar in der Gruppe an Deutschlan­d vorbei.
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FOTO: GEBERT/DPA Ist seine Zeit als Bundestrai­ner abgelaufen? Joachim Löw wollte sich nach dem WM-Aus zu einem möglichen Rücktritt nicht äußern.
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FOTO: DPA Ein gewohntes Bild gestern: Die deutschen Spieler greifen sich an die Köpfe, weil es nicht läuft.

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