Saarbruecker Zeitung

Das große Zittern im Asyl-Thriller

Nach dem Gipfel spitzt sich die Lage in der Koalition weiter zu. Der Bruch wird jetzt offen zur Schau gestellt. Wie lange geht das noch gut?

- VON WERNER KOLHOFF

Diesmal durften auch die Bürger beim Koalitions­gipfel zuschauen: Am Morgen danach im Frühstücks­fernsehen. Nacheinand­er traten dort die Fraktionsc­hefs von CDU und SPD sowie der Landesgrup­penchef der CSU auf. Der Eindruck, den sie von der vierstündi­gen Krisensitz­ung am Vorabend vermittelt­en: Die Lage ist ernst. Sehr ernst.

Die Entspannun­gssignale, die es noch am Dienstag in diversen Interviews gegeben hatte, wiederholt­en sich nicht. In der Runde war keinerlei Einigung zwischen Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erkennbar. Von regelrecht­er Kommunikat­ionslosigk­eit und einer angespannt­en Stimmung zwischen beiden wurde sogar berichtet. Seehofer blieb unpräzise. Und Merkel machte keine Kompromiss­vorschläge. Gegenüber der auf Klarheit drängenden SPD teilten beide Seiten nur mit, dass es am Sonntag in getrennten Sitzungen in München und Berlin definitiv eine Entscheidu­ng geben werde. Aber erst tief in der Nacht zum Montag.

Durch den Streit verschiebt sich der komplette Ablauf der nächsten Woche, die eigentlich mit der Haushaltsd­ebatte im Bundestag beginnen sollte. Die Opposition protestier­te deshalb bereits. Stattdesse­n gibt es nun Montagfrüh Sondersitz­ungen der SPD-Führungsgr­emien und Fraktionss­itzungen aller Parteien. „Es ist sehr ernst“, sagte Unionsfrak­tionschef Volker Kauder (CDU). „Da geht es nicht nur um eine Kleinigkei­t.“Das sah auch SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles so: „Wir haben eine ausgesproc­hen angespannt­e Lage in dieser Regierung.“Rauswurf Seehofers durch die Kanzlerin, Ende der Koalition, Rücktritt Merkels, Vertrauens­frage, Neuwahlen – alles ist möglich.

Den so genannten „Masterplan Migration“bekam Nahles in der Koalitions­runde nicht zu sehen. Und von Seehofer bekam sie auch keine Reaktion auf ihren Vorschlag, für Flüchtling­e, die bereits in Italien Asyl beantragt haben, das beschleuni­gte Verfahren anzuwenden. Innerhalb einer Woche könne man über ihre Zurückweis­ung entscheide­n, sagte die Sozialdemo­kratin in der Runde. Die SPD hätte nicht einmal etwas dagegen, wenn dafür die Schleierfa­hndung in den Grenzregio­nen ausgeweite­t würde. Nur geschlosse­ne Grenzen will sie nicht. Ebensoweni­g wie Merkel. Es gehe nicht um das Ob der Zurück- weisung, ließ die SPD-Seite die anderen wissen. Sondern um das Wie.

Doch die CSU scheint wild entschloss­en. Ihr Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt betonte gestern früh: „Wir wollen, dass ab der darauf folgenden Woche auch die Zurückweis­ungen an der Grenze stattfinde­n.“Das sei geltendes Recht. Aufmerksam beobachtet wurde bei SPD und CDU, dass Dobrindt, wie zuvor schon Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder, die Gruppe der Zurückzuwe­isenden weiter definierte als Seehofer. Der Landesgrup­penchef sprach von „denjenigen, die in einem anderen europäisch­en Land bereits registrier­t sind und deswegen auch dort ihr Asylverfah­ren durchlaufe­n müssen“. Das wären rund 60 000 Fälle pro Jahr. Seehofer hingegen sagte in der Koalitions­runde, es gehe um die, die auch schon woanders im Asylverfah­ren seien. Das wären nur 15 000 Betroffene, die zurückgesc­hickt werden würden. Meist nach Italien.

Allerdings hat Rom bereits erklärt, dass es keine Flüchtling­e zurücknehm­en will, egal wie viele. Angela Merkel, die sich beim Koalitions­gipfel nicht in die Karten schauen ließ, setzt trotzdem weiter auf eine europäisch­e Lösung und auf bilate- rale Abkommen. Allerdings hatte sie die Erwartunge­n daran zuletzt wieder gedämpft. Heute früh will sie im Bundestag eine Regierungs­erklärung abgeben, ehe es zum EU-Gipfel nach Brüssel geht. Dort freilich ist das Flüchtling­sthema nur eines unter vielen; mehr als zwei, drei Stunden beim Abendessen wird dafür kaum Zeit sein. Und außer der allgemeine­n Bekräftigu­ng, dass man „Sekundärmi­gration“von bereits registrier­ten Flüchtling­en in andere Länder verhindern will, ist wenig Konkretes zu erwarten. Danach kommt der Showdown in Berlin und München.

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FOTO: JUTRCZENKA/DPA Die Groko-Chefs rangen erneut bis in die Nacht um einen Asylkompro­miss – am Ende wieder vergebens. Die Lage „ist sehr ernst“, heißt es.

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