Saarbruecker Zeitung

Wie mit Begriffen in der Flüchtling­sdebatte Politik gemacht wird

- VON WERNER KOLHOFF

BERLIN Schon immer wurde in der Politik mit der Umdeutung von Worten gearbeitet, oder gar mit Wortschöpf­ungen.„Wording“gehört zum Standardwe­rkzeug jeder Art von Beeinfluss­ung. In der aktuellen Debatte um die Flüchtling­e ist es nicht anders. Hier einige Beispiele.

Asylbewerb­er oder Asylanten: Das ist der Oberbegrif­f, aber er ist in den meisten Fällen irreführen­d. Asyl im engeren Sinn des Grundgeset­zes meint den Schutz vor politische­r und anderer persönlich­er Ver- folgung. 2017 bekamen nur 3259 von über 220 000 Antragstel­lern politische­s Asyl zugesproch­en. Das Gros der anderen positiven Entscheidu­ngen entfiel auf Kriegsflüc­htlinge und Vertrieben­e. Das wären die treffender­en Ausdrücke – damit ließe sich aber weniger gut Stimmung machen.

Flüchtling: „Gib dem Herrn die Hand, er ist ein Flüchtling“, sagte eine Mutter zu ihrem Kind, als der Märchensam­mler Jacob Grimm auf seiner Flucht 1837 nach Kurhessen kam. Diese Zeiten sind vorbei. Allerdings ist es auch eine ganz andere Art von Flucht, wenn Familien in Afrika einen jungen Mann mit ihrem Ersparten auf die gefährlich­e Reise nach Norden schicken, auf dass der möglichst bald von dort regelmäßig Geld überweise. Es ist Migration, die Betreffend­en sind Armutsflüc­htlinge. Meist ohne Chance auf Bleiberech­t. Achtung verdienen sie aber.

Asylmissbr­auch oder Asylbetrug: Treffende Begriffe für das Vorspiegel­n gar nicht vorhandene­r Asylgründe. Das Wort „Betrug“klingt allerdings nach Wirtschaft­skriminali­tät – meist geht es den Menschen aber nur darum, eine Chance zu bekommen.

Flucht in die Sozialsyst­eme: Pole- misch. Armutsflüc­htlinge, Kriegsflüc­htlinge und Vertrieben­e wählen als Ziel das Land, das ihnen die besten Überlebens­bedingunge­n bietet. Falls sie diese Wahl haben. Denn sie haben nichts mehr. Jeder würde so handeln. Das Problem sind jene, die langfristi­g von Sozialtran­sfers eines fremden Landes leben wollen und gar nicht vorhaben, zu arbeiten. Sie ziehen gezielt in reiche Länder, flüchten aber nicht dorthin. „Zuzug in die Sozialsyst­eme“müsste es also heißen. Er erfolgt vielfach auch aus EU-Staaten.

Asyltouris­mus: Das ist ein beson- ders demagogisc­her Begriff. Weil er die Flucht mit einer Urlaubsrei­se vergleicht, was sie nun wahrlich nicht ist. Auch dann nicht, wenn die Leute innerhalb Europas hin- und herziehen. Fast keiner der Betroffene­n hat je die Chance gehabt, Tourist zu sein und wird sie vermutlich auch nie haben. Der Begriff Asyltouris­mus passt ebenso wie das Wort Wirtschaft­sflüchtlin­g viel besser zu Steuerhint­erziehern, die sich mit ihrem Geld in die Karibik absetzen.

Schutz der Außengrenz­en: Sehr verharmlos­end. Gern benutzen Politiker zur Erläuterun­g das Beispiel der Wohnung, in die man ja auch niemanden eindringen lasse. Nun sind Kontinente keine Wohnungen. Wenn jemand in einem Gummiboot über die Hoheitslin­ie kommt oder zu Fuß über die grüne Grenze, wird niemand angegriffe­n. Das ist allenfalls eine Ordnungswi­drigkeit. Außengrenz­enschutz meint in Wahrheit nichts anderes als das Zurückdrän­gen von Flüchtling­en an den Seeund Landgrenze­n, damit sie erst gar keinen Asylantrag stellen können. Egal, was aus ihnen wird. Flüchtling­sabwehr wäre hier also der klarere Begriff. Klingt aber sehr unschön.

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