Saarbruecker Zeitung

„Das ganze europäisch­e Projekt ist in Gefahr“

Der EU-Kommissar verteidigt die Flüchtling­spolitik von Kanzlerin Merkel und europäisch­e Asylzentre­n in Nordafrika.

- DIE FRAGEN STELLTE DETLEF DREWES

Er hat eines der Schlüsselr­essorts in der EU-Kommission inne: Dimitris Avramopoul­os ist für Migration zuständig – und kämpft seither für ein neues europäisch­es Asylrecht. Wie drängend eine Lösung ist und was einem Land drohen kann, das von seinen Partnern im Stich gelassen wird, weiß er: Er ist Grieche.

Der Streit um die Migration droht die EU zu spalten. Was hat der Mini-Gipfel am Sonntag gebracht?

AVRAMOPOUL­OS Es waren Gespräche, Konsultati­onen, die uns weitergebr­acht haben. Denn diese Krise geht an die Substanz der Union. Einige Regierunge­n fordern jetzt genau das, woran wir in den letzten drei Jahren gearbeitet haben: eine Lösung für ganz Europa. Wenn wir diesen Weg weiter gehen, können wir Migrations­bewegungen in Zukunft besser steuern. Schaffen wir das nicht, droht ein Rückfall.

Es sind jene Regierunge­n, die Berlin für die Öffnung der Grenzen 2015 kritisiere­n. Hat die Kanzlerin damals einen Fehler gemacht?

AVRAMOPOUL­OS Das ist unfair. Wir erinnern uns alle daran, wie viele Flüchtling­e nach Europa auf dem Weg waren. Die Bundeskanz­lerin hat in dieser Situation genau das gemacht, was wir brauchen: Sie hat Solidaritä­t gezeigt, sie hat entspreche­nd unserer Vereinbaru­ngen über Humanität und Menschenwü­rde reagiert – und viele Bundesbürg­er, die den Ankommende­n geholfen haben, auch. Unter dem Eindruck von Euroskepti­kern und Populisten drohen wir nun zurückzufa­llen – nicht nur in Fragen der Migration, sondern das ganze europäisch­e Projekt ist in Ge-

fahr. Das gilt es zu verhindern.

Ist denn seither wirklich genug getan worden, um das Problem in den Griff zu bekommen?

AVRAMOPOUL­OS Wir haben Vereinbaru­ngen mit der Türkei getroffen, um Flüchtling­e in der Region zu betreuen. Das funktionie­rt. Wir haben einen gemeinsame­n Küsten- und Grenzschut­z aufgebaut. Und glauben Sie mir: Das waren keine leichten Gespräche mit den Mitgliedss­taaten. Auch der funktionie­rt; es zeigt, was wir erreichen können, wenn wir zusammenar­beiten. Nun wollen wir die Zusammenar­beit mit anderen Ländern verstärken, ähnlich wie mit der Türkei – und wir bekommen vielverspr­echende Signale. Das Umverteilu­ngsprogram­m für Flüchtling­e in Griechenla­nd und Italien hat funktionie­rt. Alle diese Maßnahmen zusammen zeigen, dass die EU nicht untätig war, auch wenn noch einiges mehr getan werden muss. Aber auch das werden wir schaffen.

Sie wollen nun Willkommen­szentren in Nordafrika oder auf dem Balkan errichten. Ist das eine humane Lösung?

AVRAMOPOUL­OS Ich will das ganz deutlich sagen: Es geht hier nicht um Gefängniss­e wie Guantanamo. Das verbieten unsere Geschichte und unsere Kultur. Was zurzeit diskutiert wird, ist die Möglichkei­t, auf See gerettete Flüchtling­e auch in Länder außerhalb der EU zu bringen. Schutzbedü­rftige könnten dann direkt nach Europa gebracht werden, jene, die keinen Schutz benötigen, wieder in ihre Herkunftsl­änder zurückkehr­en. Dafür brauchen wir Partner, die ein solches Projekt, wie es in der Türkei gut funktionie­rt, mit uns realisiere­n wollen – mit einem hohen Standard an Humanität und Menschenre­chten, und in enger Zusammenar­beit mit dem Hochkommis­sar für Flüchtling­e der Vereinten Nationen.

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EU-Kommissar Dimitris Avramopoul­os.

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