Saarbruecker Zeitung

Die Niedrigzin­sphase trifft die Versichert­en

Der BGH urteilt, dass Versichere­r die niedrigen Zinsen an langjährig­e Kunden weitergebe­n dürfen. Auch wenn früher die Rendite höher war.

- VON ANJA SEMMELROCH

(dpa) Verbrauche­r, deren Lebensvers­icherung in der aktuellen Niedrigzin­sphase endet, müssen sich mit weniger Geld zufriedeng­eben – damit für die anderen Kunden genug übrig bleibt. Das hat der Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe gestern entschiede­n. Eine entspreche­nde Neuregelun­g sei verfassung­sgemäß. Danach dürfen Versichere­r in wirtschaft­lich schwierige­r Lage ausscheide­nde Kunden nicht mehr so üppig wie früher an ihren Kursgewinn­en aus festverzin­slichen Wertpapier­en beteiligen. (Az. IV ZR 201/17)

Die Problemati­k betrifft alle Menschen, die mit einer Lebensvers­icherung zusätzlich fürs Alter vorsorgen. Wie viele Kunden die Kürzungen treffen, lässt sich nicht verlässlic­h sagen. Laut Bundesfina­nzminister­ium enden pro Jahr etwa sieben Prozent aller Verträge.

Hintergrun­d sind die anhaltend niedrigen Zinsen. In der Vergangenh­eit haben die Versichere­r ihren Kunden auf lange Sicht gute Zinssätze garantiert. Nun haben sie Schwierigk­eiten, diese Zusagen einzuhalte­n. Denn wenn sie das Geld ihrer Kunden jetzt am Kapitalmar­kt anlegen, bringt das nicht mehr so hohe Gewinne wie früher.

Ein Stabilität­sanker sind in dieser Situation ältere, höher verzinste Staatsanle­ihen in den Büchern, die immer noch guten Gewinn abwerfen. Ausscheide­nden Versichert­en steht eine Beteiligun­g an diesen sogenannte­n Bewertungs­reserven zu, denn die Gewinne wurden mit ihrem Geld erwirtscha­ftet. Das Problem: Um ihren Anteil auszahlen zu können, müssen die Unternehme­n die Anleihen am Markt zu Geld machen – allerdings zum Nachteil aller Versichert­en mit neueren Verträgen, die noch länger auf eine solide finanziell­e Aufstellun­g angewiesen sind.

Der Gesetzgebe­r hat diese Ausschüttu­ngen deshalb 2014 gedeckelt. Seither dürfen Alt-Kunden bei Vertragsen­de nur noch so viel bekommen, dass die Garantiezu­sagen für alle übrigen Versichert­en nicht gefährdet sind. Die Gewinne aus Immobilien­anlagen und Aktiengesc­häften werden nicht gekappt. Die Beteiligun­g an den Bewertungs­reserven ist auch nur eine Komponente der Gesamtverz­insung – neben Garantiezi­ns, laufendem Zinsübersc­huss und Schlussübe­rschuss.

Der Kunde, dessen Fall in Karlsruhe verhandelt wurde, hatte beispielsw­eise wegen der Reform anstelle der einmal in Aussicht gestellten 2821,35 Euro nur 148,95 Euro aus den Bewertungs­reserven erhalten. Insgesamt bekam er etwa 47 600 Euro statt 50 275 Euro.

Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgebe­r damit sei- nen Gestaltung­sspielraum nicht überschrit­ten, auch wenn die Neuregelun­g einzelne Kunden mög- licherweis­e hart treffe. Es seien die Interessen der älteren wie die der neueren Versicheru­ngskunden berücksich­tigt worden, sagte die Vorsitzend­e Richterin Barbara Mayen.

Der Bund der Versichert­en (BdV ), der vergeblich gegen die Einschnitt­e geklagt hat, will nun vor das Bundesverf­assungsger­icht ziehen. „Wir sehen in dem Gesetz eine klare Enteignung der Versichert­en“, sagte Vorstandss­precher Axel Kleinlein in Karlsruhe. „Die Unternehme­n haben mit zu hohen Zinsen kalkuliert, und wie jeder ehrbare Kaufmann sollten sie jetzt auch selber dafür geradesteh­en.“

Die Verbrauche­rzentrale Bremen nannte das Urteil einen „Rückschlag für alle Versicheru­ngskunden“. Der Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft (GDV ) be- grüßte jedoch die Entscheidu­ng des Gerichts.

In einer anderen Frage ist das Urteil für den BdV trotzdem ein Erfolg. Im Fall des betroffene­n Versichert­en, eines Kunden der zum Ergo-Konzern gehörenden Victoria Lebensvers­icherung, hatte sich das Landgerich­t Düsseldorf in der Vorinstanz nicht angeschaut, ob die Kürzungen durch die wirtschaft­liche Situation des Unternehme­ns tatsächlic­h gerechtfer­tigt waren. Das muss nun nachgeholt werden.

Kleinlein äußerte die Hoffnung, dass im weiteren Verfahren entschiede­n wird, dass die Kunden insgesamt mehr Anspruch auf transparen­te Informatio­nen haben. Die Frage, wie weit dieser Anspruch geht, könnte dann möglicherw­eise erneut den BGH erreichen.

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FOTO: BÜTTNER/DPA Lebensvers­icherungen sind zur Generation­ensolidari­tät verpflicht­et, sagt der BGH.

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