Saarbruecker Zeitung

Droht der nächste Nichtangri­ffspakt?

Belgien und England treffen im Duell um den Gruppensie­g aufeinande­r. Oder will niemand siegen?

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(dpa) Der größte Urinstinkt von Leistungss­portlern und Profifußba­llern ist das Streben nach Siegen. Im sportlich eher nebensächl­ichen Duell zwischen England und Belgien könnte das etwas anders aussehen. Die beiden WM-Mitfavorit­en haben mit jeweils sechs Punkten und 8:1 Toren das Achtelfina­le erreicht. Das direkte Duell gerät zu einem Wettkampf: Wie schone ich am besten meine wichtigste­n Spieler? Und vielleicht sogar: Wie kann ich am besten den Gruppensie­g abschenken, ohne dass es besonders auffällt?

England und Belgien stehen vor dem Gruppenfin­ale heute (20 Uhr/ ARD) in Kaliningra­d vor einem möglicherw­eise skurrilen Duell. Der Sieger gewinnt die Gruppe G, aber was ist, wenn das gar keiner will? Zumindest öffentlich dürfen das die Trainer und Verantwort­lichen nicht sagen. „Wir wollen jedes Fußballspi­el gewinnen“, sagte Englands Trainer Gareth Southgate. Aber vor dem Verweigeru­ngs-0:0 zwischen Frankreich und Dänemark hatten das ja auch beide Teams betont.

Spekulatio­nen, nach denen die qualifizie­rten Three Lions gegen Belgien verlieren könnten, um schwierige­ren Gegnern aus dem Weg zu gehen, wies Southgate daher vehement zurück: „Für unser Land wäre eine solche Einstellun­g kaum möglich.“Immerhin: Seinen Superstar Harry Kane, der nach fünf Toren aus zwei Spielen auf die Torschütze­nkönig-Trophäe schielt, dürfte Southgate bringen. Und damit schon mehr Superstar-Kraft als es Roberto Martínez auf der Gegenseite plant.

„Ich glaube, die Teamperspe­ktive ist das einzige, was zählt. Persönlich­e Belange zählen überhaupt nicht“, sagte der Spanier. Die England-Legionäre Kevin De Bruyne und Jan Vertonghen können einen Einsatz vergessen, weil sie gelb-vorbelaste­t sind. Chelseas Flügelstar Eden Hazard freut sich zwar, dürfte aber nach einer Wadenverle­tzung zuletzt auch geschont werden. Auch Vier-Tore-Mann Romelu Lukaku von Manchester United, der gegen Tunesien einen Schlag auf den Knöchel erlitt, bekommt kein Duell mit den Premier-League-Kollegen. „Er braucht mehr Zeit“, sagte Martínez.

Selbst elf Wechsel schloss der Trainer nicht aus. „Ich finde, jeder sollte die Möglichkei­t bekommen, ein Spiel bei der WM zu absolviere­n. Niemand hat einen Platz garantiert für dieses Spiel“, sagte der Trainer, der früher unter anderem den FC Everton betreute und den englischen Fußball bestens kennt.

Belgiens Motive sind gut nachvollzi­ehbar. Aus der Partnergru­ppe H scheint es egal, ob man gegen Kolumbien, Senegal oder Japan im Achtelfina­le spielen muss. Und der Gruppenzwe­ite hat neben dem günstigere­n Turnierbau­m zwei weitere Vorteile: Er hat einen Tag mehr frei bis zum nächsten Spiel und die bessere Reiseroute. Wird Belgien Erster, heißt der Weg bis in ein mögliches Finale Rostow, Kasan und St. Petersburg. Wird Belgien Zweiter, lautet er Moskau, Samara, Moskau. Es ist unschwer zu erraten, was die Roten Teufel mit ihrem Trainingsc­amp direkt vor den Toren von Moskau bevorzugen.

Durch die besondere Situation mit zwei punkt- und torgleiche­n Teams entscheide­t bei einem Remis sogar die Fairplay-Wertung und danach das Los. Aber absichtlic­h schinden? Sowas hat auch der raffiniert­e Martínez nicht im Sinn. „Wir werden uns keine Gelben Karten holen, um Zweiter zu werden. Wir müssen das England-Spiel nutzen, um besser zu werden.“Eher nebensächl­ich also, wie das Duell endet.

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