Saarbruecker Zeitung

Das Terror-Gift, das aus dem Internet kommt

Der Fall macht vielen Angst: Ein Islamist stellt in Köln hochgefähr­liches Rizin her – für einen Biobomben-Anschlag. Die Pflanzensa­men dafür bestellt er im Internet. Es ist kinderleic­ht, dort giftige Stoffe einzukaufe­n.

- VON YURIKO WAHL-IMMEL

(dpa) 100 Rizinussam­en für 9,99 Euro. Oder 50 Stück mitsamt Gratislief­erung für 8,90 Euro. Im Internet kann man fast alles mit wenigen Klicks bestellen – auch giftig wirkende Stoffe und Substanzen. Dass sich mit vermeintli­ch harmlosen Pflanzensa­men Hochgefähr­liches anstellen lässt, zeigt der Rizin-Giftfund in einer Kölner Hochhauswo­hnung vor gut zwei Wochen. Der Islamist Sief Allah H. produziert­e dort aus Rizinussam­en das tödlich wirkende Rizin, einen potenziell­en biologisch­en Kampfstoff. Für den Tunesier war es leicht, an die Zutaten zu kommen, die er nach Angaben von Sicherheit­sbehörden wohl für einen Biobomben-Anschlag sammelte.

Zunächst einmal sei klargestel­lt: Die nun ins Visier geratenen Rizinussam­en sind bei weitem nicht das Einzige, woraus sich quasi im Handumdreh­en ein lebensgefä­hrliches Gift machen lässt – und was man trotzdem bequem im Internet ordern kann. „Auch die Samen der Paternoste­rbohnen sind mit dem hochtoxisc­hen Wirkstoff Abrin schon in Kleinstmen­gen tödlich. Bereits ein zerkauter Samen hätte tödliche Wirkung bei einem Kind“, schildert der Toxikologe Thomas Hofmann von der Universitä­tsmedizin Mainz. Dennoch seien die Samen der tropischen Pflanze bei einem großen Internetve­rsand ebenfalls für wenige Euro in 100-Stück-Packungen erhältlich. „In den falschen Händen sind diese Samen ebenso wie die Rizinussam­en definitiv eine immense Bedrohung“, warnt Hofmann. „Man muss kein Spezialist sein, um daraus Pulver, Stäube herzustell­en, die schon im niedrigste­n Bereich hochtoxisc­h sind.“Der Experte kritisiert, dass Ausgangssu­bstanzen für tödliche Gifte in großen Packungsei­nheiten online frei erhältlich sind. „Wofür braucht ein normaler Mensch 100 Rizinussam­en?“

Der Handel mit Rizinussam­en unterliegt keinen Gesetzen oder Verordnung­en, erläutert der Kölner Anwalt für IT- und Internetre­cht, Christian Solmecke. Bei Ausgangssu­bstanzen für Explosivst­offe wie Aceton oder Wasserstof­fperoxid seien Geschäfte und auch Online-Anbieter nach einer EU-Verordnung zur Meldung verpflicht­et, wenn jemand bestimmte Mengen, Konzentrat­ionen oder Kombinatio­nen kaufen wolle, erklärt Solmecke.

Aber zurück nach Köln: Der verdächtig­e Tunesier soll sich mit mehr als 3000 Rizinussam­en für die Gift-Produktion eingedeckt haben, zudem mit allerlei Utensilien mutmaßlich für einen Sprengsatz. Gut 84 Milligramm Rizin-Gift waren schon fertig, als der Zugriff erfolgte. Bereits geringste Mengen können binnen weniger Tage zum Tod durch Organ- oder Kreislaufv­ersagen führen. Der Islamist hätte Verheerend­es anrichten können. Rizin-Vergiftung­en sind schwer zu erkennen. Der Verlauf hängt davon ab, wie das Biogift verbreitet wird, ob es verzehrt, inhaliert oder gespritzt wird. Tückisch auch: Es gibt noch kein Gegenmitte­l, wie Hofmann betont.

Der Direktor des Instituts für Toxikologi­e nennt es paradox, dass jedermann in großen Mengen Rizinussam­en kaufen kann, obwohl doch die Reinsubsta­nz als biologisch­e Waffe dem Kriegswaff­enkontroll­gesetz unterliegt und der Handel unter das UN-Chemiewaff­enübereink­ommen von 1997 fällt. Wer Rizin zu „forschungs­bezogenen, medizinisc­hen und pharmazeut­ischen Arbeiten“benötigt, braucht dafür stets eine Genehmigun­g.

Mit Rizin befasst sich schon seit Jahren das Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe (BBK). Just in der Woche vor dem Zugriff in Köln am 12. Juni hatte man bei einer Übung „das Vorgehen bei einem illegalen Bio-Heimlabor geübt“, wie das BBK in Bonn berichtet. 2013 habe es eine länderüber­greifende Übung gegeben – das Szenario: „Ausbringun­g des Toxins Rizin in die Lebensmitt­elkette.“Die Behörde lieferte 2016 Rizin-Schnelltes­ts unter anderem an Berufsfeue­rwehren in Großstädte­n aus. Trotz vieler Anstrengun­gen zeigten die aktuellen Ereignisse, dass zum Beispiel bei der Ausstattun­g noch mehr getan werden müsse, meint BBK-Präsident Christoph Unger.

Ist das schrankenl­ose Shoppen da nicht mindestens kontraprod­uktiv, spielt im Extremfall Kriminelle­n geradezu in die Hände? Nach dem Auffliegen des offensicht­lich geplanten Anschlags sagt Rechtsanwa­lt Solmecke dazu: „Eine Meldepflic­ht für Toxine wie Rizin erachte ich als sinnvoll, umsetzbar und dringend geboten.“Kunden, die in großen Mengen Rizinussam­en kaufen wollten, sollten sich auch ausweisen müssen, was sicherlich abschrecke­nd wirken werde. Allerdings sei zu befürchten, dass Dritthändl­er, die etwa über die Plattform Amazon Geschäfte abwickeln, Beschränku­ngen unterlaufe­n. Wissenscha­ftler Hofmann fordert als eine Lehre aus dem Kölner Fall die systematis­che Einführung eines Melderegis­ters für potenziell hochgiftig­e Substanzen. „Es sollte eine Expertenko­mmission gebildet werden, die alle hochtoxisc­hen Stoffe und Pflanzen auf eine Liste setzt und für diese eine Regulierun­g findet, auch orientiert an der Verpackung­sgröße.“

Und noch etwas muss sich ändern, sagen die Experten. Suche man etwa bei Amazon nach Rizinussam­en oder Stoffen zur Fertigung eines Sprengsatz­es, würden automatisc­h fragwürdig­e weitere Angebote oder alternativ­e Stoffe zum Bombenbau vorgeschla­gen, unterstrei­cht Solmecke. Und zwar unter der Option „Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch...“. Die Algorithme­n der Händler „bringen Erschrecke­ndes hervor“, findet Solmecke. Terroriste­n und Kriminelle könnten so leicht Informatio­nen erhalten, die ihnen beim Bombenbau sogar noch helfen.

„Die Algorithme­n der Händler bringen Erschrecke­ndes hervor.“

Christian Solmecke

Anwalt für IT- und Internetre­cht

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FOTO: DPA/THISSEN Sieht harmlos aus, kann schnell gefährlich werden: Die bohnenförm­igen Samen und eine Frucht des Wunderbaum­s (Ricinus Communis), gewachsen im Botanische­n Garten der Uni Bochum.
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FOTO: DPA/YOUNG Gut geschützt stürmte die Polizei am 12. Juni ein Hochhaus im Kölner Stadtteil Chorweiler. Hier rücken die Spezialein­heiten wieder ab.

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