Saarbruecker Zeitung

Käßmann beendet ihre Kirchen-Karriere

Margot Käßmann blieb auch nach ihrem Rückzug ein Zugpferd der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d. Sie wird eine Lücke hinterlass­en.

- VON MICHAEL EVERS

Sie gilt als charismati­sche Predigerin und trieb die Emanzipati­on der Frau in der Kirche voran. Nun verabschie­det die Evangelisc­he Kirche Deutschlan­ds Margot Käßmann in den Ruhestand.

(dpa) Frontfrau, Sprachrohr, Aushängesc­hild und Magnet der Massen – mit der Pensionier­ung von Margot Käßmann verliert die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d (EKD) eine ihrer prägnantes­ten Persönlich­keiten. Die charismati­sche Predigerin hat Kirchen und Messehalle­n gefüllt, mit ihren Büchern ein breites Publikum erreicht und ist mit politische­n Positionen mehr als einmal angeeckt. Zugleich hat sie forsch und frech die Emanzipati­on der Frau in der Kirche vorangetri­eben. Den Mitglieder- und Bedeutungs­verlust der Kirche hat sie dennoch nicht stoppen können. An diesem Samstag wird die 60-Jährige in einem Festgottes­dienst in Hannover in den Ruhestand verabschie­det.

Der Verlust ist für die Kirche schwer, denn mehr denn je ist sie auf Geistliche wie Käßmann mit einem besonderen Draht auch zu glaubensfe­rnen Menschen angewiesen. Studien belegen die Bedeutung der Pastorinne­n und Pastoren für die Kirche der Zukunft. „Die Kirche bräuchte mehr von solchen Leuten“, sagt der Göttinger Theologe Prof. Jan Hermelink über Käßmann. „Sie hat die Gabe, den Glauben auf eine Weise zu verpacken, die leichter verständli­ch ist.“Mit ihren vielen Büchern biete sie zudem Lebenshilf­e im weiten Sinn. „Das ist, was die Kirche ja will.“Die Art und Weise, wie Käßmann gewirkt habe, sei richtungsw­eisend für die Zukunft der Kirche. „Für die Kirche als Institutio­n war und ist sie ein Glücksfall.“

„Mit Margot Käßmann verlässt eine der wichtigste­n Persönlich­keiten des Deutschen Protestant­ismus die öffentlich­e Bühne“, meint die Grünen-Fraktionsc­hefin und ehemalige EKD-Synodenvor­sitzende Katrin Göring-Eckardt. „Ihre politische­n Stellungna­hmen waren in aller Regel geprägt von einem konsequent friedensor­ientierten Linksprote­stantismus, der auch in der Kirche selbst umstritten war.“Sie habe Klarheit und Mut gehabt, auch unangepass­t zu sein.

Kritik erntete Käßmann insbesonde­re für ihre Einschätzu­ng: „Nichts ist gut in Afghanista­n.“Den Satz sagte sie kurz nach ihrem Aufstieg zur EKD-Chefin 2009, zehn Jahre hatte sie da bereits als Bischöfin an der Spitze der hannoversc­hen Landeskirc­he gestanden. Zuvor war die im oberhessis­chen Marburg geborene Theologin bereits Generalsek­retärin des Deutschen Evangelisc­hen Kirchentag­es und Gemeindepf­arrerin. Nach ihrem Rückzug aus der Spitze warb sie als EKD-Botschafte­rin für das Reformatio­nsjubiläum 2017. Nun nutzt sie die Möglichkei­t des niedersäch­sischen Beamtenrec­hts, ab dem 60. Geburtstag mit Abzügen in Pension zu gehen.

Beim letzten Auftritt vor der Verabschie­dung ermunterte Käßmann ihre Kirche am Freitag, weiter unbequem zu bleiben. „Was meine Kirche betrifft, wünsche ich mir, dass sie sich weiter politisch einbringt und sich nicht in eine private Nische abdrängen lässt.“Selber kritisiert­e sie gleich die aktuelle Flüchtling­spolitik: „Was die Politik betrifft, finde ich es im Moment bedrückend, dass über Flüchtling­e nur noch als Problem geredet wird und ihr Schicksal keine Rolle mehr spielt.“

„Der große Erfolg von Margot Käßmann beruht darauf, dass sie in ihrer ganzen Präsenz möglichst nah bei den einfachen Menschen ist, die sich mit ihr identifizi­eren können“, sagt Gerhard Wegner, Direktor des Sozialwiss­enschaftli­chen Instituts der EKD. Auch ihr Privatlebe­n habe sie nicht verborgen, ob Scheidung, Krebserkra­nkung, Alkoholfah­rt oder Rücktritt von der EKD-Spitze 2010. Auch im Umgang mit den Medien sei Käßmann geübt, „man muss die eigene Authentizi­tät gut verkaufen“. Den Rückgang der Gläubigen konnte aber auch sie nicht verhindern. Binnen zehn Jahren schrumpfte die Zahl der Protestant­en um mehr als drei Millionen, 2016 alleine sank die Zahl in der EKD im Vergleich zum Vorjahr um 350 000 auf 21,92 Millionen. Auf ihrer letzten Jahrestagu­ng im November in Bonn begab sich die EKD auf Zukunftssu­che – weniger Moralismus, kürzere und knackigere Gottesdien­ste wurden empfohlen sowie eine abgestufte „Kirchenmit­gliedschaf­t light“für Interessie­rte. Und die bestehende­n Karrierehi­ndernisse für Frauen in der EKD sollen beseitigt werden, beschloss die Bonner Versammlun­g.

Ihren Ruhestand will Margot Käßmann in ihren Häuschen auf Usedom und in Hannover verbringen, wo zwei der vier Töchter wohnen. „Mein sechstes Enkelkind ist unterwegs, ich werde wohl keine Langeweile haben“, sagt die Frau, die in der EKD viele vermissen werden.

„Die Kirche bräuchte mehr von solchen Leuten.“

Prof. Jan Hermelink

Theologe in Göttingen

 ?? FOTO: HOLLEMANN/DPA ?? Theologin Margot Käßmann, bis 2010 die erste Frau an der Spitze der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, wird diesen Samstag verabschie­det.
FOTO: HOLLEMANN/DPA Theologin Margot Käßmann, bis 2010 die erste Frau an der Spitze der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, wird diesen Samstag verabschie­det.

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