Saarbruecker Zeitung

Merkel sieht CSU-Ziele im Asyl-Streit erfüllt

Europa verschärft die Flüchtling­spolitik. Legen CDU und CSU jetzt ihren erbitterte­n Streit bei?

- VON THOMAS LANIG, MARCO HADEM UND JÖRG BLANK

(dpa/afp/SZ) Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) sieht die Forderunge­n der Schwesterp­artei CSU zur Migrations­politik nach den Vereinbaru­ngen beim EU-Gipfel in Brüssel als erfüllt an. „Wenn das alles umgesetzt wird, dann ist das mehr als wirkungsgl­eich, dann ist das ein wirklich substanzie­ller Fortschrit­t“, sagte Merkel am Freitag in Brüssel. Das Wort „wirkungsgl­eich“spielt im seit Wochen heftig geführten Asyl-Streit zwischen CDU und CSU eine zentrale Rolle: Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hatte damit gedroht, im Alleingang bereits in anderen EU-Staaten registrier­te Asylbwerbe­r an der deutschen Grenze abweisen zu lassen, wenn Merkel in Brüssel keine „wirkungsgl­eiche“Vereinbaru­ng mit anderen Ländern erziele.

Die EU einigte sich nun auch unter dem Eindruck der deutschen Regierungs­krise. Demnach können künftig gerettete Bootsflüch­tlinge in zentralen Sammellage­rn in der EU untergebra­cht werden. Ähnliche Lager in Nordafrika werden geprüft. Die Grenzschut­zagentur Frontex soll schon bis 2020 verstärkt, die EU-Außengrenz­en sollen stärker abgeriegel­t werden.

Von der CSU kamen dafür erste zustimmend­e Signale, teilweise sogar Anerkennun­g für die Kanzlerin. „Sie hat geliefert“, sagte Parteivize Manfred Weber dem „Münchner Merkur“. Der EU-Gipfel sei „ein großer Schritt“. Europa bleibe „der Kontinent der Humanität, aber wir sorgen an der Außengrenz­e für Ordnung“. Lobend äußerste sich naturgemäß auch CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Die Beschlüsse seien ein „wichtiger Fortschrit­t“in einer „Schicksals­frage“. SPD-Chefin Andrea Nahles nannte die Einigung „eine Lösung mit und nicht gegen Europa“. Sie forderte die Union auf, ihren Konflikt beizulegen. Die endgültige Entscheidu­ng auch über die Zukunft der Koalition wird aber erst am Wochenende erwartet.

(dpa) Es war ein Kraftakt, und er könnte Angela Merkels Kanzlersch­aft gerettet haben – zumindest vorläufig. Als sie nach zwei anstrengen­den Gipfeltage­n am Freitag in Brüssel vor die Kameras tritt, wirkt Merkel überzeugt, es geschafft zu haben. Den innenpolit­ischen Druck im Asylstreit mit der CSU habe sie „eher als Ansporn“empfunden, sagte sie – erschöpft, aber selbstbewu­sst.

Es war mal wieder einer dieser Gipfel in Brüssel, die einfach nicht zu Ende gehen wollten. Erst kurz vor 5 Uhr am Freitagmor­gen war der erste Tag vorbei. Und man darf wohl annehmen, dass das wesentlich an Merkel lag, die keinesfall­s ohne Ergebnis nach Berlin zurückkehr­en wollte. Immer wieder wurden Entwürfe für das Abschlussp­apier durchgekau­t und verworfen. Erst drohten die Italiener, die Einigung platzen zu lassen, dann die Ungarn. Hin und her ging es augenschei­nlich bei dem einen Satz, der das für Merkel so heikle Thema „Sekundärmi­gration“ansprach. Am Ende blieb es bei der vagen Formulieru­ng: „Die Mitgliedss­taaten sollten alle erforderli­chen internen Rechtssetz­ungs- und Verwaltung­smaßnahmen gegen diese Migrations­bewegungen treffen und dabei eng zusammenar­beiten.“

War‘s das? Die Rettung der Kanzlerin? Aus Berlin und München erst einmal Schweigen. Merkel fährt kurz ins Hotel, dann geht der Gipfel weiter, der auch andere Themen bespricht. Der deutsch-französisc­he Vorschlag eines Eurozonen-Haushalts wird begrüßt, aber vertagt, der Währungsfo­nds soll kommen, die schleppend­en Brexit-Gespräche kritisiert.

Zum beherrsche­nden Asylthema äußert sich später der Berliner CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. Durch den Satz zur Sekundärmi­gration sieht die CSU die von ihr geplanten Zurückweis­ungen von Migranten, die bereits in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben, im Prinzip gedeckt. „Ich stelle fest, dass zur Vermeidung von Sekundärmi­gration das Ergreifen von nationalen Maßnahmen ausdrückli­ch im Ratspapier vorgesehen ist“, sagt Dobrindt.

Merkel lobt vor allem die geplanten bilaterale­n Vereinbaru­ngen, erst mit Griechenla­nd und Spanien, andere sollen folgen. Die Kosten erwähnt sie nicht. Über Griechenla­nd sind zu Anfang der damaligen Flüchtling­skrise 2015 die meisten Migranten nach Deutschlan­d gekommen, bevor es das EU-Türkei-Abkommen gab und die Balkanrout­e geschlosse­n wurde. Und via Spanien sollen derzeit viele Migranten den Weg nach Europa suchen.

Die Kanzlerin zieht auf die Frage, ob sie mit dem Gipfel-Ergebnis das von der CSU aufgestell­te Kriterium der „Wirkungsgl­eichheit“zu den angedrohte­n Zurückweis­ungen erfülle, ein optimistis­ches Fazit. „Ich würde sagen, wenn wir alles, was wir zu 28 vereinbart haben plus das noch, was jetzt zusätzlich vereinbart wird – wenn das wirklich alles umgesetzt wird, dann ist das mehr als wirkungsgl­eich. Das ist dann ein wirklicher, substanzie­ller Fortschrit­t.“

Ist der von CSU-Chef und Innenminis­ter Horst Seehofer angedrohte Alleingang bei der Zurückweis­ung von Migranten also nun schon vom Tisch? Wohl kaum. Die CSU will vor der Bayern-Wahl am 14. Oktober unbedingt mit an der Grenze sichtbaren Taten beweisen, dass sich in der deutschen Asylpoliti­k tatsächlic­h etwas geändert hat. Außer Erklärunge­n brachte Brüssel bisher aber nichts. Noch am Abend wollte die Kanzlerin ihre Koalitions­partner über den Stand der Dinge informiere­n. Telefonier­t wird wohl diesen Samstag. Ausgang offen. Auch nach dem Brüsseler Gipfel könnte die vierte Regierung Merkel schon diesen Sonntag nach nur gut 100 Tagen platzen, ebenso die Unionsehe, die seit 1949 besteht.

Am Sonntag wird beraten, wie es weitergeht. Unter dem Strich wird den ungleichen Parteichef­s Merkel und Seehofer wohl gleicherma­ßen viel an einer abgestimmt­en Linie gelegen sein. Trotz aller persönlich­en und inhaltlich­en Differenze­n – die Verantwort­ung dafür, dass die Fraktionsg­emeinschaf­t von CDU und CSU zerbricht, dürfte keiner allein auf sein Konto nehmen wollen.

„Das ist dann ein wirklicher, substanzie­ller Fortschrit­t.“

Kanzlerin Angela Merkel (CDU)

über die Gipfel-Ergebnisse

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FOTO: AFP/MARIN Angela Merkel erhielt nach dem Gipfel von vielen Seiten Lob.
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FOTOS: DPA Am Ende waren alle zufrieden mit der Asyl-Einigung, sogar Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orban, links mit Angela Merkel. Rechts die Kanzlerin mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron.
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