Merkel sieht CSU-Ziele im Asyl-Streit erfüllt
Europa verschärft die Flüchtlingspolitik. Legen CDU und CSU jetzt ihren erbitterten Streit bei?
(dpa/afp/SZ) Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht die Forderungen der Schwesterpartei CSU zur Migrationspolitik nach den Vereinbarungen beim EU-Gipfel in Brüssel als erfüllt an. „Wenn das alles umgesetzt wird, dann ist das mehr als wirkungsgleich, dann ist das ein wirklich substanzieller Fortschritt“, sagte Merkel am Freitag in Brüssel. Das Wort „wirkungsgleich“spielt im seit Wochen heftig geführten Asyl-Streit zwischen CDU und CSU eine zentrale Rolle: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte damit gedroht, im Alleingang bereits in anderen EU-Staaten registrierte Asylbwerber an der deutschen Grenze abweisen zu lassen, wenn Merkel in Brüssel keine „wirkungsgleiche“Vereinbarung mit anderen Ländern erziele.
Die EU einigte sich nun auch unter dem Eindruck der deutschen Regierungskrise. Demnach können künftig gerettete Bootsflüchtlinge in zentralen Sammellagern in der EU untergebracht werden. Ähnliche Lager in Nordafrika werden geprüft. Die Grenzschutzagentur Frontex soll schon bis 2020 verstärkt, die EU-Außengrenzen sollen stärker abgeriegelt werden.
Von der CSU kamen dafür erste zustimmende Signale, teilweise sogar Anerkennung für die Kanzlerin. „Sie hat geliefert“, sagte Parteivize Manfred Weber dem „Münchner Merkur“. Der EU-Gipfel sei „ein großer Schritt“. Europa bleibe „der Kontinent der Humanität, aber wir sorgen an der Außengrenze für Ordnung“. Lobend äußerste sich naturgemäß auch CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Beschlüsse seien ein „wichtiger Fortschritt“in einer „Schicksalsfrage“. SPD-Chefin Andrea Nahles nannte die Einigung „eine Lösung mit und nicht gegen Europa“. Sie forderte die Union auf, ihren Konflikt beizulegen. Die endgültige Entscheidung auch über die Zukunft der Koalition wird aber erst am Wochenende erwartet.
(dpa) Es war ein Kraftakt, und er könnte Angela Merkels Kanzlerschaft gerettet haben – zumindest vorläufig. Als sie nach zwei anstrengenden Gipfeltagen am Freitag in Brüssel vor die Kameras tritt, wirkt Merkel überzeugt, es geschafft zu haben. Den innenpolitischen Druck im Asylstreit mit der CSU habe sie „eher als Ansporn“empfunden, sagte sie – erschöpft, aber selbstbewusst.
Es war mal wieder einer dieser Gipfel in Brüssel, die einfach nicht zu Ende gehen wollten. Erst kurz vor 5 Uhr am Freitagmorgen war der erste Tag vorbei. Und man darf wohl annehmen, dass das wesentlich an Merkel lag, die keinesfalls ohne Ergebnis nach Berlin zurückkehren wollte. Immer wieder wurden Entwürfe für das Abschlusspapier durchgekaut und verworfen. Erst drohten die Italiener, die Einigung platzen zu lassen, dann die Ungarn. Hin und her ging es augenscheinlich bei dem einen Satz, der das für Merkel so heikle Thema „Sekundärmigration“ansprach. Am Ende blieb es bei der vagen Formulierung: „Die Mitgliedsstaaten sollten alle erforderlichen internen Rechtssetzungs- und Verwaltungsmaßnahmen gegen diese Migrationsbewegungen treffen und dabei eng zusammenarbeiten.“
War‘s das? Die Rettung der Kanzlerin? Aus Berlin und München erst einmal Schweigen. Merkel fährt kurz ins Hotel, dann geht der Gipfel weiter, der auch andere Themen bespricht. Der deutsch-französische Vorschlag eines Eurozonen-Haushalts wird begrüßt, aber vertagt, der Währungsfonds soll kommen, die schleppenden Brexit-Gespräche kritisiert.
Zum beherrschenden Asylthema äußert sich später der Berliner CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Durch den Satz zur Sekundärmigration sieht die CSU die von ihr geplanten Zurückweisungen von Migranten, die bereits in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben, im Prinzip gedeckt. „Ich stelle fest, dass zur Vermeidung von Sekundärmigration das Ergreifen von nationalen Maßnahmen ausdrücklich im Ratspapier vorgesehen ist“, sagt Dobrindt.
Merkel lobt vor allem die geplanten bilateralen Vereinbarungen, erst mit Griechenland und Spanien, andere sollen folgen. Die Kosten erwähnt sie nicht. Über Griechenland sind zu Anfang der damaligen Flüchtlingskrise 2015 die meisten Migranten nach Deutschland gekommen, bevor es das EU-Türkei-Abkommen gab und die Balkanroute geschlossen wurde. Und via Spanien sollen derzeit viele Migranten den Weg nach Europa suchen.
Die Kanzlerin zieht auf die Frage, ob sie mit dem Gipfel-Ergebnis das von der CSU aufgestellte Kriterium der „Wirkungsgleichheit“zu den angedrohten Zurückweisungen erfülle, ein optimistisches Fazit. „Ich würde sagen, wenn wir alles, was wir zu 28 vereinbart haben plus das noch, was jetzt zusätzlich vereinbart wird – wenn das wirklich alles umgesetzt wird, dann ist das mehr als wirkungsgleich. Das ist dann ein wirklicher, substanzieller Fortschritt.“
Ist der von CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer angedrohte Alleingang bei der Zurückweisung von Migranten also nun schon vom Tisch? Wohl kaum. Die CSU will vor der Bayern-Wahl am 14. Oktober unbedingt mit an der Grenze sichtbaren Taten beweisen, dass sich in der deutschen Asylpolitik tatsächlich etwas geändert hat. Außer Erklärungen brachte Brüssel bisher aber nichts. Noch am Abend wollte die Kanzlerin ihre Koalitionspartner über den Stand der Dinge informieren. Telefoniert wird wohl diesen Samstag. Ausgang offen. Auch nach dem Brüsseler Gipfel könnte die vierte Regierung Merkel schon diesen Sonntag nach nur gut 100 Tagen platzen, ebenso die Unionsehe, die seit 1949 besteht.
Am Sonntag wird beraten, wie es weitergeht. Unter dem Strich wird den ungleichen Parteichefs Merkel und Seehofer wohl gleichermaßen viel an einer abgestimmten Linie gelegen sein. Trotz aller persönlichen und inhaltlichen Differenzen – die Verantwortung dafür, dass die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU zerbricht, dürfte keiner allein auf sein Konto nehmen wollen.
„Das ist dann ein wirklicher, substanzieller Fortschritt.“
Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
über die Gipfel-Ergebnisse