Saarbruecker Zeitung

Steht Seehofer bald in einer Reihe mit Röttgen und Scharping?

Sollte die Kanzlerin ihren CSU-Innenminis­ter im Asyl-Streit rauswerfen, wäre das keine Premiere. Minister-Entlassung­en sind im Bund allerdings selten.

- VON HAGEN STRAUSS Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Joachim Wollschläg­er

Der Auftritt der Kanzlerin war spektakulä­r – weil während ihrer Amtszeit so noch nie vorgekomme­n. Rund 90 Sekunden dauerte im Mai 2012 das Statement von Angela Merkel. Dann war ihr Parteifreu­nd Norbert Röttgen kein Kabinettsm­itglied mehr und mit Peter Altmaier der Nachfolger im Amt des Umweltmini­sters benannt. Merkel kann, wenn sie will, einen Ressortche­f feuern. Ob Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) das gleiche Schicksal wie Röttgen ereilt, wird sich in den kommenden Tagen zeigen.

Minister zu ernennen und zu entlassen, ist klar geregelt im Grundgeset­z sowie im Bundesmini­stergesetz. Dabei wird formaljuri­stisch kein Unterschie­d zwischen einem freiwillig­en Rücktritt und einer Entlassung gemacht. Bei einem Rücktritt müssen Minister um ihre Entlassung bitten. In Artikel 64 des Grundgeset­zes heißt es: „Die Bundesmini­ster werden auf Vorschlag des Bundeskanz­lers vom Bundespräs­identen ernannt und entlassen.“Dazu auch Paragraf neun des Bundesmini­stergesetz­es: „Die Bundesmini­ster können jederzeit entlassen werden und ihre Entlassung jederzeit verlangen.“

Röttgen war erst seit Oktober 2009 Minister, als er rausflog – gut zweieinhal­b Jahre. Er hatte sich aber dem Willen der Kanzlerin verweigert, nach der CDU-Spitzenkan­didatur bei den NRW-Landtagswa­hlen nach Nordrhein-Westfalen zu wechseln. Röttgen, seinerzeit auch als potentiell­er Nachfolger Merkels gehandelt, vermasselt­e die Wahl, Merkel warf ihn raus. Politisch durchschri­tt er anschließe­nd eine Durststrec­ke, inzwischen ist er aber schon länger Vorsitzend­er des Auswärtige­n Ausschusse­s des Bundestage­s. Seine Karriere geht also weiter. Röttgen ist CDU-Mitglied, wie Merkel. In der politische­n Praxis ist es noch nie vorgekomme­n, dass ein Kanzler einen Ressortche­f einer anderen Partei, des Koalitions­partners, aus der Regierung wirft. Aus gutem Grund: Es gilt der Grundsatz, dass jede Partei ihre Minister selbst bestimmt. Wird einer entlassen, stellt sich sofort die Koalitions­frage. Im Falle Seehofer wäre das der Fall. Sollte er sich im Flüchtling­sstreit demonstrat­iv über Merkels Richtlinie­nkompetenz hinwegsetz­en, müsste sie handeln. Um ihre Autorität nicht gänzlich zu verlieren. Dann zählt das Parteibuch nicht mehr. Das würde sich die CSU aber vermutlich nicht gefallen lassen, ihre beiden anderen Minister abziehen und damit Merkels Koalition zu Fall bringen. Die Entlassung wäre dann ein Eigentor für Merkel.

In der Geschichte der Republik haben Minister-Entlassung­en Seltenheit­swert, Rücktritte wegen persönlich­er oder politische­r Verfehlung­en freilich nicht. Erinnert sei nur an den früheren Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg von der CSU, der 2011 wegen einer abgeschrie­benen Doktorarbe­it stürzte. Oft ist es so, dass Minister hinter den Kulissen massiv gedrängt werden, ihr Amt aufzugeben. Das minimiert den Schaden und hinterläss­t ein anderes Bild als der klassische Rauswurf. Bei Guttenberg war das der Fall. Auch die frühere Bundesbild­ungsminist­erin Annette Schavan, eine enge Freundin der Kanzlerin, zog 2013 nach Plagiatsvo­rwürfen die Reißleine und verzichtet­e auf ihr Amt, bevor sie wahrschein­lich hätte gehen müssen.

Keine andere Wahl hatte 2014 Hans-Peter Friedrich, als seinen Job als Landwirtsc­haftsminis­ter aufzugeben. Dem Bayern wurde damals vorgeworfe­n, in der Affäre um den damaligen SPD-Abgeordnet­en Edathy die Arbeit der Ermittler behindert zu haben. Friedrich galt seinerzeit als Bauernopfe­r, um die öffentlich­en Wogen und die in der großen Koalition zu glätten.

Einen Rauswurf der Extraklass­e erlebte hingegen 2002 der damalige Verteidigu­ngsministe­r Rudolf Scharping. SPD-Kanzler Gerhard Schröder entließ seinen Parteifreu­nd, nachdem der sich standhaft geweigert hatte, wegen zweifelhaf­ter Geschäfte mit einem PR-Manager und anderer Fehltritte wie zum Beispiel Pool-Fotos auf Mallorca sein Amt niederzule­gen. Schröder machte kurzen Prozess – er brauchte damals sogar nur 50 Sekunden, um Scharping zu schassen.

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FOTOS: DPA Horst Seehofer (CSU, v.l.) droht der Rauswurf als Bundesmini­ster. Norbert Röttgen (CDU) ist das 2012 passiert, 2002 Rudolf Scharping (SPD).
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