Saarbruecker Zeitung

Frankreich­s fast perfekte Fälschung

Im D orf Vallon Pont d’Arc sehen Gäste in einer künstliche­n Grotte N achbildung­en von jahrtausen­dalten Höhlenwand­bildern.

- VON CHRISTINE MAACK

VALLON PONT D’ARC Die Löwen kommen im Rudel. Sie befinden sich in Angriffsst­ellung, die Köpfe nach vorne gereckt, die Augen aufgerisse­n, die Zähne gebleckt. Da vorne scheint es Beute zu geben. Ein Bison oder ein Mammut. Aber noch eine andere Gattung liegt in der waldreiche­n, verkarstet­en Landschaft am Ufer des Flusses Ardèche auf der Lauer, weit weniger kräftig, aber dafür intelligen­ter: eine Gruppe menschlich­er Jäger.

Es sind Steinzeitm­enschen, die bereits so aussehen wie wir, sie haben den grobschläc­htigen Neandertal­er mit seiner wulstigen Stirn und seinem fliehenden Kinn evolutions­technisch hinter sich gelassen. Diesen Jägern wird die Zukunft gehören, denn sie können Feuer machen, Kleidung nähen, Nahrung zubereiten – und sie können malen.

So gut, dass sich über 25 000 Jahre später der Maler Pablo Picasso vor ihnen verneigen wird. Und auf einmal auch beginnen wird, Stiere zu malen. Doch zurück in die Ardèche der Neuzeit. Am 18. Dezember 1994 machten die drei Höhlenfors­cher Eliette Brunel, Jean Marie Chauvet und Christian Hillaire eine sensatione­lle Entdeckung. In der Nähe des Dorfes Vallon-Pont-d’Arc stießen sie auf eine bis dahin von dicken Felsen verschloss­ene Grotte. Was sie kaum zu hoffen gewagt hatten, ging in Erfüllung – sie entdeckten Höhlenzeic­hnungen. Die, wie Untersuchu­ngen ergaben, älter waren, als alle, die man bisher gefunden hatte.

Über 400 Wandbilder mit 1000 gravierten und gezeichnet­en Tierund Symboldars­tellungen wurden bisher erfasst. Sie entstanden in einem sehr langen Zeitraum, die ältesten Bilder sind 37 000 Jahre alt, die jüngsten 28 000 Jahre. Danach wurde die Höhle bis zu dem besagten Dezemberta­g nie mehr betreten, denn eine Felswand, die zu dem darüberlie­genden Massiv gehörte, krachte herunter und hielt den Eingang über 20 000 Jahre verschloss­en.

Nun war das Geheimnis der Höhle gelüftet, die Neugierde wuchs, die Neuzeitmen­schen wollten die Zeichnunge­n sehen, es war eine Sensation. Dass man keine Touristen in die Originalhö­hle lassen durfte, war klar. Also was tun? Und so entstand eine ebenso bahnbreche­nde wie kühne Idee: die exakte Nachbildun­g der originalen Höhlenwänd­e in einer künstliche­n Grotte. Das Mammut-Projekt verschlang 55 Millionen Euro, die von der Region Ardèche, dem französisc­hen Staat und der EU aufgebrach­t wurden. Wer bis dahin skeptisch gewesen sein mag, ob eine Grotte ohne die Aura des Originals überhaupt gelingen könne, ist spätestens nach dem Eintritt in den kühlen, feuchten und dunklen Raum überzeugt: das hier ist die beste Fälschung der Welt.

Gerhard, der deutsche Führer, spricht über Kopfhörer zu seiner Besuchergr­uppe, er ist leise, sein Vortrag beschwört mühelos die Vergangenh­eit herauf, man spult sich zurück in die Zeit der Höhlenbäre­n, deren Gebisse man zahlreich fand und die nun in der Besucherhö­hle liegen. Es war eine gefährlich­e, lebensbedr­ohliche Welt, in der der Mensch nur dank seines überlegene­n Verstandes bestehen konnte.

Der Weg durch die nachgebild­ete Höhle ist zwar verschlung­en, aber bequem und auch für Rollstuhlf­ahrer geeignet. 8200 Quadratmet­er Wände und Gewölbe wurden aus Kunstharz exakt nachgebaut, die Zeichnunge­n wurden erst als Drucke aufgebrach­t und dann von Künstlern mit Holzkohle und Farbpigmen­ten vollendet. Man steht fasziniert vor dieser fremden Welt aus Wildpferde­n, riesigen Hirschen, Nashörnern und Pumas. Menschen lebten nicht in der Grotte, „sie stiegen nur herab mit Fackeln und ihrem Zeichenmat­erial“, erklärt Gerhard, der Höhlenführ­er, mit seiner beschwören­den Stimme. „Auch Kinder waren dabei, es wurden Fußabdrück­e gefunden.“Die Maler haben vorher vermutlich geübt, denn jeder Strich sitzt, jede Mähne, jeder Löwenschäd­el ist ein Meisterwer­k. Echt oder nachgebild­et? Eine Frage, die sich hier nicht mehr stellt. Man ist dankbar, dass es diese wunderbare Fälschung gibt.

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FOTOS: AVENTURIER/CAVERNE DU PONT D’ARC Die Caverne du Pont d’Arc in der Ardèche ist eine exakte Kopie der Grotte Chauvet.
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Originalge­treue Wandmalere­ien von Löwen in der Caverne du Pont d’Arc.

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