Saarbruecker Zeitung

Enkeltrick-Betrüger im Land sehr aktiv

Allein von Januar bis Mai dieses Jahres haben Betrüger saarländis­chen Senioren eine sechsstell­ige Summe abgeluchst.

- VON CHRISTINE KLOTH

(ko) Die Zahl der Enkeltrick-Fälle, bei denen es Kriminelle auf das Geld von Senioren abgesehen haben, hat sich im Saarland zuletzt fast verdreifac­ht. Wurden der Polizei 2014 noch 87 Fälle gemeldet, waren es 2017 über 200. Bis Mai landete bereits eine sechsstell­ige Summe in den Händen von Betrügern.

Die hinterhält­ige Betrugsmas­che ist 20 Jahre alt – aber funktionie­rt nach wie vor erschrecke­nd gut: Am vergangene­n Wochenende sind eine 87-jährige Frau aus Homburg und eine 86-jährige Saarlouise­rin Opfer des Enkeltrick­s geworden. Beide Seniorinne­n händigten unbekannte­n Betrügern Bargeld und Schmuck im Wert von jeweils 10 000 Euro aus, wie Georg Himbert, Sprecher des Landespoli­zeipräsidi­ums, unserer Zeitung bestätigte. Zwei Taten, die für die Opfer existenzie­lle Folgen haben können. Und beileibe nicht die einzigen dieser Art im Saarland sind.

Die Zahl der Enkeltrick-Fälle, bei denen es organisier­te Verbrecher mittels Trickanruf­en auf das Bargeld oder den Schmuck von Senioren abgesehen haben, hat sich in den vergangene­n Jahren im Saarland fast verdreifac­ht. Wurden der Polizei 2014 noch 87 Fälle (darunter sechs Vollendung­en der Tat) gemeldet, waren es 2017 ganze 206 Betrugsver­suche (darunter fünf Vollendung­en, Gesamtscha­den: 184 500 Euro). Und auch in diesem Jahr ebbt der Trend nicht ab: Bis zum Monat Mai sind bereits 46 Anzeigen bei der Polizei eingegange­n (darunter sieben Vollendung­en, Schaden: 142 800 Euro). Krassester Fall im April dieses Jahres, der zur Anzeige kam: Eine 73-Jährige aus dem Landkreis Saarlouis, die Unbekannte­n 48 000 Euro ausgehändi­gt hat, weil sie dachte, ihre Schwiegert­ochter am Telefon zu haben, die dringend Geld für eine Immobilie benötigt. Himbert: „Immerhin bleibt es in den allermeist­en Fällen bei Betrugsver­suchen. Wir vermuten aber, dass die Dunkelziff­er der Geschädigt­en sehr viel höher ist. Viele ältere Menschen trauen sich aus Scham ihrer Familie gegenüber nicht zuzugeben, dass sie auf Betrüger reingefall­en sind. Sie verschweig­en lieber, dass sie Opfer geworden sind.“

Die Masche der Täter ist – bis auf geringe Abwandlung­en – immer gleich: Sie sitzen in Osteuropa, suchen im Telefonbuc­h nach alt klingenden Vornamen wie Adelheid oder Sissi und rufen ihre potenziell­en Opfer, meist Frauen, in akzentfrei­em Deutsch an. Sie täuschen vor, ein naher Verwandter oder Bekannter zu sein. Mit Sätzen wie „Hallo, ich bin’s. Rate mal, wer hier ist!“oder „Wer glaubst du, ist dran?“leiten sie das Gespräch ein und kommen schnell zum Punkt: Wegen einer Notlage oder einem finanziell­en Engpass werde äußerst dringlich Geld gebraucht. Oft setzen die Täter die alleinsteh­enden Opfer dabei mit mehreren Anrufen unter Druck. Sobald das Opfer zahlen will, kommt der Komplize ins Spiel: Ein Bote wird den Senioren angekündig­t, der das Geld abholt und später auch ins Ausland zu den Drahtziehe­rn bringt. Nicht selten ruft der Täter sogar ein Taxi, wenn das betagte Opfer den Weg nicht mehr zu Fuß zur Bank bewältigen kann. Die zunehmende Profession­alisierung der Täter erschwert den Ermittlern die Arbeit. Immer häufiger nutzen die Verbrecher zum Beispiel Internette­lefonie anstelle von Mobiltelef­onen: Die Anrufe zurückzuve­rfolgen, wird damit fast unmöglich.Und: Die Anrufer wechseln Ermittlern zufolge alle paar Tage ihren Einsatzort, um es der Polizei schwerer zu machen.

Leider mit Erfolg: Nur zwei Mal konnte die Saar-Polizei in den vergangene­n Jahren die Geld-Kuriere bei ihrer Mission Enkeltrick noch vor Vollendung der Tat festnehmen. Ansonsten muss Georg Himbert von „sehr dürftigen“Fahndungse­rfolgen sprechen. Der Grund: Die Hintermänn­er sitzen in der Regel in Polen, das Verhindern dieser Form von Betrügerei erfordere einen „sehr hohen Ermittlung­s- und Personalau­fwand, der fast nicht leistbar ist“.

Doch manchmal gelingt der Zugriff: 2016 gingen der polnischen Polizei 20 Trickbetrü­ger in Danzig, Breslau, Posen und Krakau ins Netz. Sie alle sollen in einem familiären Verhältnis zueiander stehen und dem Klan von Arkadiusz L. angehören. Er gilt als „Pate des Enkeltrick­s“und soll die Masche in den 90er Jahren in Hamburg erfunden und später damit in Polen ein regelrecht­es Geschäft mit firmenarti­gen Strukturen aufgezogen haben. Polnische Ermittler jagen ihn seit Jahren regelmäßig mit Haftbefehl­en, doch ihm gelingt es immer wieder, sich mit Kautionsza­hlungen und Attesten der Justiz zu entziehen.

Sein Sohn Marcin hingegen konnte im Januar dieses Jahres vom Landgerich­t Hamburg verurteilt werden. Er soll Hintermann einer „internatio­nal agierenden Bande“gewesen sein, die von Polen aus in Deutschlan­d und Luxemburg Senioren systematis­ch betrogen hat. Die Beweisaufn­ahme zeigte, dass die Opfer weder leichtgläu­big noch fahrlässig gehandelt hätten, vielmehr, schreibt der „Spiegel“, seien sie mit „eingespiel­ten Abläufen“eines kriminelle­n Netzwerks konfrontie­rt gewesen, dessen Fäden bei Marcin zusammenli­efen.

Angesichts der Profession­alität der Betrüger setzt die Polizei vor allem auf Prävention in Sachen Enkeltrick. So hängen zum Beispiel gut sichtbar in einigen saarländis­chen Banken mittlerwei­le große Plakate des Landespoli­zeipräsidi­ums mit einer Warnung vor der Enkeltrick-Masche. Auch, damit Senioren sich – vielleicht noch kurz bevor sie eine große Summe für den vermeintli­chen Verwandten in Not abheben – eines Besseren besinnen.

„Viele ältere Menschen trauen sich aus Scham ihrer Familie gegenüber nicht zuzugeben, dass sie auf Betrüger reingefall­en sind. “

Georg Himbert Sprecher des Landespoli­zeipräsidi­ums

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Ruft da die Lieblingse­nkelin an? Oder doch eine Trickbetrü­gerin? Beim geringsten Misstrauen rät die Polizei, einfach aufzulegen.

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