Saarbruecker Zeitung

Das Militär und sein „tiefer moralische­r Fall“

Eine Biografie wirft einen neuen Blick auf die Widerstand­skämpfer vom 20. Juli 1944 um Claus Schenk Graf von Stauffenbe­rg.

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Form“veröffentl­icht jetzt Auszüge.

Die Biografie dürfte neue Diskussion­en über Rolle und Motive der Verschwöre­r vom 20. Juli 1944 auslösen. Für Karlauf handelten sie aus Verantwort­ung, nicht aus Gesinnung. „Nicht das Entsetzen über die Verbrechen des Nationalso­zialismus, sondern die Entschloss­enheit, den Krieg möglichst rasch zu einem für Deutschlan­d einigermaß­en glimpflich­en Ende zu bringen, gab ihrem Denken die Richtung.“Das bedeute aber nicht, „dass sie unempfindl­ich waren für die Untaten des Systems“, meint Karlauf. „Nur sollte man ihr stark von Beruf und Klasse geprägtes Handeln nicht mit dem vielzitier­ten Aufstand des Gewissens gleichsetz­en.“Nur, möchte man als Leser einwenden, gilt das nicht auch für viele andere Widerstand­skämpfer des Dritten Reiches, von „Beruf und Klasse“geprägt, jung, alt, Student und Fabrikarbe­iter?

Karlauf will auch nicht versuchen, nach einer moralische­n Motivation zu fragen, die es „in der uns heute selbstvers­tändlich gewordenen, der Schreckens­herrschaft des Dritten Reiches angemessen­en Form“bei Stauffenbe­rg nicht gegeben habe. Er konzentrie­re sich stattdesse­n auf die militärisc­h-politische Motivation. Zu fragen sei beispielsw­eise, wie Stauffenbe­rg eigentlich auf den sogenannte­n Röhm-Putsch von 1934 mit der Ermordung der SA-Führung („So räumte der Führer auf!“) reagierte oder wie er den Einmarsch ins Sudetenlan­d von 1938 beurteilt hat. Mit Kriegsbegi­nn habe Stauffenbe­rg ausschließ­lich als Soldat geurteilt, meint Karlauf, der aus Briefen zitiert, in denen Stauffenbe­rg „von der neuen Ordnung der abendländi­schen Völker unter deutscher Führung“geträumt habe. Die drei Lebenswelt­en, deren Normen sein Denken und Handeln von früh an bestimmt hätten – die Tradition der Familie, das Offiziersk­orps und die Bindung an den Dichter Stefan George (das „Geheime Deutschlan­d“) – seien für Stauffenbe­rg lange Zeit vereinbar gewesen mit den Zielen des Nationalso­zialismus.

Dennoch habe der Offizier am 20. Juli 1944 dem „Versagen der militärisc­hen Elite und ihrem tiefen moralische­n Fall“eine Tat entgegenge­setzt, die nach dem Selbstvers­tändnis dieser Elite undenkbar gewesen sei. Denn Militärrev­olten, wie Karlauf aus den Erinnerung­en eines der Oberbefehl­shaber der Wehrmacht zitiert, „kannte man damals eigentlich nur bei Balkan-Völkern und südamerika­nischen Staaten“. Dass diese Generalitä­t Verbrechen bis hin zum Völkermord gedeckt hat, ist die Kehrseite dieser deutschen Militär-Elite. Stauffenbe­rg hat das zuletzt und spät erkannt. Man darf auf die neue Biografie gespannt sein.

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FOTO: DPA Der Offizier und spätere Widerstand­skämpfer Claus Graf Schenk von Stauffenbe­rg in den 1930er Jahren.

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