Saarbruecker Zeitung

Zum Geburtstag viel Gift

Glückwünsc­he und gallige Kritik: Horst Seehofer muss sich im Bundestag einiges anhören. Nahles fordert indes die Rückkehr zur ordentlich­en Regierungs­arbeit.

- VON WERNER KOLHOFF

Aus dem Funkgerät der Polizeibea­mtin, die gerade im Lift rauf zur Zuschauert­ribüne des Bundestage­s steht, quäkt ein Kollege. „Der amtierende Innenminis­ter ist eingetroff­en.“Dass Horst Seehofer an diesem Mittwoch nur noch ganz knapp im Amt ist, hat sich herumgespr­ochen. Weit vor den anderen nimmt der Bayer Platz auf der Regierungs­bank und hält Hof. Er hat Geburtstag, 69 Jahre alt ist er geworden. Alle gratuliere­n, auch die Kanzlerin. Milde wird die Debatte trotzdem nicht.

Die giftigste Rede in der Generalaus­sprache über den Etat 2017 hält AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel. „Deutschlan­d ist ein Narrenhaus“, sagt sie, „und im Kanzleramt ist die Zentrale“. Seehofer sei nur der „Agonieverl­ängerer der Ära Merkel“, er mache die „Herrschaft des Unrechts“an den Grenzen weiter mit. Wie neuerdings fast immer bei ihr, gibt es auch diesmal wieder eine Entgleisun­g, nämlich als sie sagt, Handwerksm­eister und Industrief­acharbeite­r schafften den Wohlstand, „und nicht Gender-Professor-Wichse“.

Die gemeinste, weil hinterlist­igste Rede aber hält der FDP-Vorsitzend­e Christian Lindner. Er sagt, CSU und CDU hätten sich nach ihrem unseligen Streit „zu Lasten der Sozialdemo­kraten“geeinigt. Und das, so der Liberale, sei „kein fairer Umgang von Koalitions­partnern miteinande­r“. Großes Gelächter ob dieser Fürsorglic­hkeit, zumal Lindner diese Passage auf den Zwischenru­f des CDU-Politikers Michael Grosse-Brömer folgen lässt. Der FDP-Chef hätte doch alles selbst besser machen können – wenn er Jamaika nicht hätte platzen lassen. Nein, entgegnet Lindner, nach den Kabalen der letzten Woche sei erst recht klar geworden, dass es richtig gewesen sei, nicht mit dieser so zerstritte­nen Union zu regieren.

Ganz persönlich­e Giftpfeile hat der Liberale noch für Geburtstag­skind Seehofer im Köcher. Im Kanzleramt biege man sich ob des gefundenen Kompromiss­es um die Transitzen­tren vor Lachen, sagt er. Weil die vom CSU-Chef so mühsam durchgeset­zten Transitzen­tren nur ein Miniproble­m lösten, und weil Seehofer laut dem Übereinkom­men von Montagnach­t

nun selbst für eine Vereinbaru­ng mit Österreich und anderen Ländern sorgen müsse, ehe er sie einrichten kann. Seehofer lässt das stoisch über sich ergehen, auch den Satz, dass man in der CSU eigentlich nur auf seinen Abgang warte. Er redet erst morgen im Bundestag, wenn es um seinen Etat geht.

Nette Grüße auch von den anderen Opposition­sparteien. „C steht für Chaos“, stichelt Linken-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch, und dann an Seehofer gewendet: „Am 70. Geburtstag werden Sie hier nicht mehr sitzen.“Immerhin gratuliert er ihm als einziger vom Rednerpult aus.

Der Linke zitiert die Bibel und sagt, die CSU-Flüchtling­spolitik sei unchristli­ch. „Sie hätten mit einem Lächeln auch Jesus abgeschobe­n.“Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter spricht von einem „populistis­chen Rausch“der Bayern und wirft der Regierung eine Mischung aus „Chaos und Koma“vor. Beide müssen sich hinterher von Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder (CDU) rüffeln lassen, dass solche internen Auseinande­rsetzungen auch bei ihnen schon vorgekomme­n seien oder – siehe der Streit zwischen den Linken-Politikeri­nnen Katja Kipping und Sahra Wagenknech­t – gerade tobten. Kauder: „Jeder kehre vor seiner Tür.“

Und die Kanzlerin? Wieder einmal die Ruhe selbst. Null Emotion. Sie referiert die Einigung mit der CSU lediglich, ebenso die Ergebnisse des EU-Gifpels. Und schlägt ansonsten den Bogen zu den großen globalen Fragen. Vom kommenden Nato-Treffen über den Handelskri­eg bis zur Digitalisi­erung. Als wäre nichts gewesen. Aus den AfD-Reihen kommen wütende Zwischenru­fe, aber Merkel blickt nicht einmal hin.

Nur als Andrea Nahles redet, wirkt sie sehr aufmerksam. Die SPD-Chefin verlangt nämlich, zu „ordentlich­er Regierungs­arbeit“zurückzuke­hren, sagt „wir brauchen keine Masterplän­e, sondern gutes Handeln“und lehnt geschlosse­ne Flüchtling­slager komplett ab.

Außerdem müsse Horst Seehofer jetzt mal ein Einwanderu­ngsgesetz vorlegen. Da droht neues Ungemach nach all den anstrengen­den Tagen, ahnt die Kanzlerin. Heute Abend tagt schon wieder der Koalitions­ausschuss.

„Sie hätten mit einem Lächeln auch Jesus abgeschobe­n.“

Linken-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch zu Seehofer

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FOTO: NIETFELD/DPA Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (links) und Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU) begrüßen Horst Seehofer (CSU) zu Beginn der Plenarsitz­ung im Bundestag – und gratuliere­n zum Geburtstag.

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