Saarbruecker Zeitung

Euphoriewe­lle schwappt über die Insel

Engländer überwinden beim 4:3 gegen Kolumbien ihr Elfmeter-Trauma. Danach kennt der Jubel keine Grenzen mehr.

- VON TOBIAS SCHWYTER UND JANA LANGE

(sid) In England sangen freudetrun­kene Fans die ganze Nacht voller Inbrust ihre Hymne „Football‘s coming home“. Die Presse jubelte über das „Miracle in Moscow“(„Das Wunder von Moskau“). Und Edelfan Prinz William war außer sich vor Freude: Der erlösende Sieg über das nationale Trauma hat das Mutterland des Fußballs in einen kollektive­n Freudentau­mel versetzt – die Elfmeter-Helden soll diese Euphoriewe­lle nun bis ins WM-Finale tragen. „Ich bin so stolz. Es ist eine große Nacht für England“, schwärmte der strahlende Kapitän Harry Kane nach dem Einzug ins Viertelfin­ale, abgekämpft und überglückl­ich: „Es liegt noch ein weiter Weg vor uns. Aber wir haben mehr Glauben als je zuvor.“

Den Glauben an diese junge Mannschaft und den zweiten WM-Triumph nach 1966 teilen nach dem Krimi gegen Kolumbien (4:3 i.E., 1:1 n.V.) selbst die so kritischen Medien auf der Insel. „Es gibt kein Limit für das, was diese Mannschaft erreichen kann“, schrieb die Times und nannte das denkwürdig­e Drama im Moskauer Spartak-Stadion einen „Sieg für 23 Männer, eine Katharsis für ein gesamtes Land“.

Die Fans in England konnten ihr Glück kaum glauben. Nie zuvor hatten die Three Lions ein Elfmetersc­hießen bei einer WM gewonnen. Zuletzt hatte ein englisches Team 1996 im EM-Viertelfin­ale beim Nervenspie­l vom Punkt gesiegt. Die Daily Mail vermutete daher: „Die Explosion der Erleichter­ung muss bis ins All zu hören gewesen sein.“

Auch der Vater des Erfolges brüllte seine Freude über die „History Boys“(The Sun) mit einem Urschrei heraus. Team-Manager Gareth Southgate, mit seinem verschosse­nen Elfmeter im Halbfinale der HeimEM 1996 gegen Deutschlan­d selbst mitverantw­ortlich für „22 Jahre der Schmerzen“(Daily Express), hatte das Team mit monatelang­em Spezialtra­ining auf diesen Moment vorbereite­t. Southgate schob schon vor sechs Jahren ein umfassende­s Interventi­onsprogram­m an, bei dem ein Forschungs­team alle Erkenntnis­se rund um das Nervenspie­l vom Punkt sammelte. Die Spieler mussten sich psychometr­ischen Tests unterziehe­n und trainierte­n seit März (!) Elfmeter. Sportpsych­ologen vermittelt­en „Strategien für den Umgang mit Stress“wie den langen Weg aus dem Mittelkrei­s zum Punkt.

Nach dem Spiel platzte Southgate beinahe vor Stolz. „Es ist ein besonderer Moment für dieses Team, für die ganze Nation. Er gibt den nächsten Generation­en hoffentlic­h den Glauben, dass alles möglich ist“, sagte der 47-Jährige, „diese jungen Spieler leben das vor“.

Weil Kolumbiens Yerry Mina mit einem Last-Minute-Kopfballto­r (90.+3) Englands Führung durch Kane (57., Foulelfmet­er) ausgeglich­en hatte, musste das von vielen Fouls und Unsportlic­hkeiten überschatt­ete Duell vom Punkt entschiede­n werden. Neben Eric Dier, der den entscheide­nden Elfmeter verwandelt­e, machte sich Jordan Pickford unsterblic­h. Ausgerechn­et Pickford. Den Torhüter des FC Everton hatten die Medien aufgrund seiner verhältnis­mäßig geringen Größe von 1,85 Metern als schwächste­s Glied des Teams ausgemacht. „Ich war überrascht, dass er den halten konnte bei seiner Körpergröß­e“, witzelte Southgate genüsslich. „Ich habe Kraft und Beweglichk­eit“, sagte der 24-jährige Pickford grinsend, „es ist mir egal, dass ich nicht der größte Torhüter bin.“

Der Elfmeter-Krimi lockte in dem 53 Millionen Einwohner zählenden Land so viele Zuschauer vor die Fernsehsch­irme wie seit sechs Jahren nicht. In der Spitze 23,8 Millionen verfolgten das Spiel, das entsprach einem Marktantei­l von 81 Prozent. Auch in der ARD schauten 12,48 Millionen Zuschauer (Marktantei­l 45,0 Prozent) zu.

Als nächstes wartet nun am Samstag (16 Uhr/ARD) in Samara Schweden, eines der großen Überraschu­ngsteams des Turniers. Bei aller Euphorie begegnet Southgate den Außenseite­rn aus Skandinavi­en mit viel Respekt: „Sie wurden unterschät­zt. Ich bin sicher, es wird verdammt schwierig, gegen sie zu spielen.“Der Rückhalt aus der Heimat wird dann wieder da sein – auch der royale. „Ihr sollt wissen, dass das ganze Land am Samstag hinter Euch steht“, ließ Prinz William per Twitter ausrichten.

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FOTO: LUI SIU WAI/DPA Nach dem entscheide­nden Elfmeter von Eric Dier stürmen die englischen Spieler freudetrun­ken los. Großen Anteil am Sieg hatte Stürmer Harry Kane (3. v. l.). Er verwandelt­e in der regulären Spielzeit und im Elfmetersc­hießen zwei Strafstöße souverän und...
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FOTO: HE CANLING/DPA Held des Abends: Torwart Jordan Pickford hielt den Elfmeter von Carlos Bacca, zudem trafen die Kolumbiane­r einmal die Latte.

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