Saarbruecker Zeitung

SPD geißelt Seehofers „unwürdiges Theater“

Der 48-Jährige aus Bottrop muss für zwölf Jahre in Haft. Er soll mindestens 14 500 Krebsmedik­amente gestreckt und damit Millionen verdient haben.

- VON JÖRN HARTWICH UND MARTIN VON BRAUNSCHWE­IG Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Robby Lorenz Lisa Kutteruf

Nach der Einigung der Koalition in der Asylpoliti­k stellt die SPD Horst Seehofer infrage. Generalsek­retär Klingbeil nannte das „Theater“der vergangene­n Wochen „unwürdig für Deutschlan­d“.

(dpa) Krebsmedik­amente gepanscht, Millionen Euro kassiert und damit ein Luxusleben geführt: Im Prozess um gestreckte Infusionen für Krebspatie­nten ist der Apotheker Peter S. aus Bottrop im Ruhrgebiet am Freitag zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Außerdem wurde ein lebenslang­es Berufsverb­ot verhängt. Die Krebsbetro­ffenen und deren Angehörige reagierten erleichter­t: „Wir haben gekämpft, jetzt können wir endlich zur Ruhe kommen.“

Das Urteil fiel genau auf den 48. Geburtstag des Angeklagte­n. Darüber verlor Richter Johannes Hidding jedoch kein Wort. Stattdesse­n redete er dem Mann ins Gewissen, endlich sein Schweigen zu brechen: „Tausende Patienten haben aus Ihrer Hand Krebsmedik­amente erhalten. Sie wollen wissen, was wirklich geschehen ist. Und zwar nicht vom Gericht. Sondern von Ihnen.“Der 48-Jährige zeigte jedoch keinerlei Reaktion.

Die Richter sind überzeugt, dass in der Bottroper Apotheke des Angeklagte­n zwischen 2012 und 2016 mindestens 14 500 Krebsmedik­amente gestreckt worden sind. Welche Patienten unterdosie­rte Chemothera­pien erhalten haben und welche ordnungsge­mäß hergestell­te? Darauf gibt es bis heute keine umfassende Antwort. Und die Auswirkung­en? „Meine Tochter hat damals im Radio von der Festnahme des Apothekers erfahren“, sagte eine 67-Jährige nach der Urteilsver­kündung. „Da wusste sie, warum es ihr so schlecht geht. Da hat sie sich aufgegeben.“

Richter Hidding hatte zuvor selbst an das Schicksal einer Frau erinnert, die von Peter S. insgesamt 98 Infusionen erhalten hat. Vermutlich häufig ohne Wirkstoff. „Am 26. September 2018 hätte sie ihren 30. Geburtstag gefeiert“, sagte Hidding mit ernster Stimme. Im Gerichtssa­al war es in diesem Moment mucks- mäuschenst­ill. Die Frau ist schon im vergangene­n Jahr gestorben.

Der Angeklagte habe es in der Hand gehabt, für die Rettung seiner Patienten zu sorgen. Genau das habe er jedoch nicht getan. Und warum nicht? „Aus purer Habgier, Luxusgüter spielten für ihn eine große Rolle“, so Hidding. Die Millio- nenvilla mit Wasserruts­che zum Beispiel, der eigene Gärtner, aber auch seine Funktion als Gönner und Mäzen in seiner Heimatstad­t. Dadurch habe er sich Ansehen und Anerkennun­g verschafft.

Und dann noch der Hygieneska­ndal. Peter S. war immer wieder beobachtet worden, wie er sein Labor in Straßenkle­idung betreten hatte. „Dabei ist Hygiene gerade für immungesch­wächte Krebspatie­nten immens wichtig“, hieß es im Urteil.

Dass der Medikament­enskandal überhaupt aufgedeckt wurde, sei besonders mutigen Menschen zu verdanken. Einer von ihnen war Martin Porwoll, Ex-Mitarbeite­r des Angeklagte­n. Er war 2016 zur Polizei gegangen und für seine Enthüllung­en später mit den Deutschen Whistleblo­wer-Preis ausgezeich­net worden. Wären er und eine weitere Mitarbeite­rin nicht gewesen, hätte Peter S. möglicherw­eise immer weitergema­cht. Davon gehen die Richter aus. „Die Geschichte dieses Kriminalfa­lls ist nämlich auch eine Geschichte des Behördenve­rsagens“, sagte Hidding beim Urteil. In der gesamten Zeit seien die individuel­l hergestell­ten Infusionsl­ösungen kein einziges Mal kontrollie­rt worden.

Die Zahl von mindestens 14 500 unterdosie­rten Infusionsl­ösungen ist das Ergebnis einer akribische­n Berechnung. Die Richter haben den Wareneinga­ng mit den abgerechne­ten Mengen verglichen und sind auf gewaltige Differenze­n gestoßen. In einem Fall seien zum Beispiel nur 16 Prozent der abgerechne­ten Wirkstoffm­enge auch tatsächlic­h eingekauft worden.

Der Schaden für die Krankenkas­sen beläuft sich laut Urteil auf rund 17 Millionen Euro. Genau dieser Betrag soll nun aus dem Vermögen des Angeklagte­n eingezogen werden. Auch das haben die Richter am Freitag entschiede­n.

Ob Peter S. die unterdosie­rten Arzneien in jedem Fall selber hergestell­t hat, ist unklar. In Betracht kommen auch einige seiner Mitarbeite­r, die vor Gericht die Aussage verweigert­en, um sich nicht selbst belasten zu müssen. Auch ihr Schweigen stößt bei den Krebsbetro­ffenen auf Unverständ­nis.

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FOTO: MARCEL KUSCH/DPA Der angeklagte Apotheker im Essener Landgerich­t. Während der Verhandlun­g äußerte sich der 48-Jährige nicht zu den Vorwürfen.

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